Tokio und Beijing auf Crashkurs
Von Igor Kusar, Tokio
Die Fronten zwischen Japan und China verhärten sich weiter. Hintergrund sind Aussagen der neuen japanischen Premierministerin Takaichi Sanae von Anfang November, wonach ein Überfall Chinas auf Taiwan eine militärische Antwort Tokios auslösen könnte. Schon jetzt ist die Auseinandersetzung der schärfste diplomatische Konflikt seit Jahren. Am Sonntag drang ein Verbund der chinesischen Küstenwache in von Japan verwaltete Gewässer ein, zudem lässt Beijing seine wirtschaftliche Macht spielen. Am Mittwoch gab es bekannt, den Import von japanischen Meeresprodukten auszusetzen. Zuvor war die Aufführung von mindestens zwei japanischen Animes ausgesetzt worden. Events zwischen befreundeten Städten beider Staaten werden nach und nach abgesagt oder verschoben. Einige chinesische Reisebüros haben nach Warnungen ihrer Regierung vom Freitag angefangen, Reisen nach Japan zu stornieren. Auch im UN-Hauptquartier in New York kam es zu einem verbalen Schlagabtausch zwischen Vertretern beider Seiten. Zudem haben beide Staaten Diplomaten des jeweiligen anderen einbestellt.
Am Dienstag hatte Tokio einen Gesandten nach Beijing geschickt, um die Fronten zu schlichten. Doch der kam unverrichteter Dinge zurück. China beharrt auf einer Entschuldigung Japans und der Rücknahme der Drohung seiner Regierungschefin. Tokio seinerseits ruft Beijing zur Zurückhaltung und Mäßigung auf und spielt dabei vor allem auf einen Social-Media-Kommentar des chinesischen Generalkonsuls in Osaka an, in dem in Anspielung auf Takaichi von Enthauptung die Rede war.
Bei diesem Schlagabtausch scheint der Stab um Takaichi das Ausmaß des angerichteten Schadens und die große Verärgerung in Beijing zu unterschätzen. Laut Kommentaren von japanischen Youtubern mit Insiderwissen funktioniert die Kommunikation zum japanischen Außenministerium nicht, da die Beamten vor Takaichis autoritärem Führungsstil zurückschrecken. Statt nun alle Hebel in Bewegung zu setzen und auf eine Schlichtung hinzuarbeiten, haben Regierungsvertreter und Politiker angefangen, über eine Revision des »Geschäftsmodells« nachzudenken, das zu stark von der Ökonomie Chinas abhängig sei. Die chinesischen Touristen allein spülen jährlich umgerechnet über zehn Milliarden Euro in die Kassen der japanischen Wirtschaft. Doch eine Alternative dazu ist kaum in Sicht.
Die Unnachgiebigkeit Takaichis gegenüber China scheint im Moment aufzugehen. Ihre Popularitätswerte sind in den vergangenen Tagen noch einmal deutlich gestiegen. Ihr Führungsstil kommt an. Doch damit betritt Japan gefährliches Territorium. Die kriegerische Stimmung wird von rechten und konservativen Kreisen in den Medien noch zusätzlich angeheizt. Für sie ist Takaichis Drohung reine Abschreckung. Ihren Ausführungen zufolge würde auf eine gewaltsame Eingliederung Taiwans ein Angriff Chinas auf die japanische Präfektur Okinawa folgen. Der Einspruch liberaler Kommentatoren, China habe wohl kaum ein Interesse, Taiwan anzugreifen und dabei den hochmodernen Produktionssektor zu zerstören, verhallt im Moment wirkungslos.
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