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Aus: Ausgabe vom 18.11.2025, Seite 1 / Titel
Waffenexporte nach Israel

Staatsräson rollt weiter

Die Bundesregierung hebt den Teilstopp von Waffenexporten nach Israel auf. Es ist der Rückzug von einer primär symbolischen Entscheidung
Von David Siegmund-Schultze
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Motoren aus deutscher Herstellung für »Merkava«-Panzer waren von dem Teilstopp nicht betroffen (Gaza, 12.10.2025)

Israel soll wieder uneingeschränkt mit deutschen Waffen beliefert werden. Der am 10. Oktober in Kraft getretene Waffenstillstand in Gaza habe sich »in den letzten Wochen stabilisiert«, sagte Regierungssprecher Stefan Kornelius am Montag der dpa. Deshalb soll kommende Woche der teilweise Stopp von Waffenexporten nach Israel zurückgenommen werden. Er begrüße die Entscheidung, das »teilweise ›Embargo‹ aufzuheben«, reagierte Israels Außenminister Gideon Saar auf X. »Ich fordere andere Regierungen auf, nach dem Vorbild Deutschlands ähnliche Entscheidungen zu treffen«, ergänzte er.

Saar will wohl betonen, dass Israel de facto gar nicht so isoliert ist, wie es die Rhetorik der meisten Regierungen der EU-Staaten suggeriert – und setzt deshalb Embargo in Anführungszeichen. Tatsächlich wurden vom 8. August, als Bundeskanzler Friedrich Merz den Teilstopp ausrief, bis zum 22. September Rüstungsgüter im Wert von 2,46 Millionen Euro an Tel Aviv genehmigt, wie eine Anfrage der Fraktion Die Linke ergab. Merz hatte gesagt, dass Waffen, die in Gaza genutzt werden könnten, von der Maßnahme betroffen seien – solche zur Verteidigung nicht. Welche Güter das genau betrifft, wird der Öffentlichkeit vorenthalten.

Alle bereits genehmigten Waffen wurden außerdem trotz des vorgeblichen Stopps weiter geliefert. Obwohl das Kriegswaffenkontrollgesetz festlegt, dass die Genehmigungen zurückgenommen werden müssen, wenn die Gefahr besteht, dass mit den Waffen das Völkerrecht verletzt wird, sagt die Rechtsanwältin Beate Bahnweg gegenüber jW. »Das hätte spätestens seit der Vollblockade des Gazastreifens im März mit der Genehmigung für ein U-Boot passieren müssen«, fügt sie hinzu.

Am vergangenen Mittwoch scheiterten mehrere Palästinenser mit einer Klage gegen die BRD vor dem Berliner Verwaltungsgericht. Wegen der anhaltenden Kriegsverbrechen Israels in Gaza beantragten sie ein Verbot von Rüstungsgenehmigungen an Tel Aviv, bis sich die Armee vollständig aus dem Gebiet zurückgezogen hat. Die Begründung des Gerichts: Die Regierung habe die »Genehmigungen für die Ausfuhr von Kriegswaffen« gestoppt, und die Lage in Gaza habe sich »maßgeblich geändert«. Es sei nicht zu befürchten, dass die BRD in »naher Zukunft bei gleicher Sachlage« Kriegswaffenlieferungen genehmigen werde. Eine Berufung wurde nicht zugelassen. Die Klage scheiterte also auch, weil das Verfahren zu spät kam. Doch ohne konkrete Informationen zu Waffenlieferungen lässt sich nicht klagen – und hierzu herrscht systematische Intransparenz.

Dass Merz genau jetzt den Teilgenehmigungsstopp aufhebt, sei kein Zufall, vermutet Bahnweg, die die Palästinenser vor Gericht vertreten hat: »Die Bundesregierung hat offenbar seit Februar 2024, als wir die ursprüngliche Klage eingereicht haben, keine Kriegswaffen mehr genehmigt. Jetzt, wo alle Klagen vom Tisch sind, können sie die Beschränkungen fallenlassen.« Die Krux: Viele Waffen und Waffenteile werden nicht als Kriegswaffen, sondern als allgemeine Rüstungsgüter definiert und unterstehen damit nicht dem Kriegswaffenkontrollgesetz. So etwa Motoren des deutschen Konzerns Renk, ohne die israelische »Merkava«-Kampfpanzer nicht rollen können.

Kritik an dem Hochfahren der Waffenlieferungen kommt derweil aus der Fraktion Die Linke: Die Entscheidung sei »völlig verantwortungslos«, sagte Lea Reisner, Sprecherin für Internationale Beziehungen, gegenüber jW. »Während in der Westbank Siedlergewalt und Apartheid Tag für Tag weiter eskalieren und in Gaza trotz Waffenruhe weiterhin Menschen getötet werden, liefert Berlin erneut militärische Ausrüstung an eine Armee, der schwere Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht sowie Genozid vorgeworfen werden«, so Reisner.

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