»Der Russe gewinnt immer«
Von Ronald Kohl
Wenn wir es schon mal ins Kino schaffen, müssen wir auch darüber schreiben. In Laura Laabs Regiedebüt »Rote Sterne überm Feld« wimmelt es der Komödie entsprechend an komischen Figuren. Der vor Jahrzehnten in der LPG »Glücksstern« beschäftigte Uwe (Hermann Beyer) liest noch immer die junge Welt, die Printausgabe im Abo. So einer muss ja mit dem MfS zusammengearbeitet haben. »Ich war aus gutem Grund bei der Staatssicherheit: damit Arschlöcher wie du mein Land nicht kaputtmachen!« Der, an den dieses zornige Bekenntnis gerichtet ist, nimmt es gelassen. Denn erstens stammt auch Werner Gömer (Uwe Preuss) aus Bad Kleinen und weiß deshalb, dass die trinkfeste mecklenburgische Landbevölkerung gerne sagt, was sie denkt. Und zweitens steht Gömer über den Dingen. Er ist einer der wenigen Ostdeutschen, die sich bis in unsere Zeit im Hochschulbetrieb behaupten konnten. Nun hat es den Professor der Geologie in die alte Heimat verschlagen. Eine Moorleiche wurde geborgen, genaues Alter unbekannt. Professor Gömer als Experte für Ablagerungen jeder Art ist mit riesigem Gefolge angereist.
Was er und viele andere im Dorf sich sehr bald fragen, ist, warum in dem Augenblick, in dem die Leiche ausgebaggert wird, noch jemand aus der Versenkung auftaucht – nämlich Uwes Tochter Tine (Hannah Ehrlichmann). Sie ist die Zeitreisende, die ausgehend von ihren Funden im Hier und Jetzt mal in der Zeit des »Dritten Reiches« unterwegs ist, dann wieder in der DDR und schließlich auch in den Jahren nach der Währungsunion. Ursache dieser zeitgeschichtlichen Dreifaltigkeit ist der Tote im Moor. Es könnte sich bei ihm um einen fahnenflüchtigen SS-Rekruten aus dem Dorf handeln. Oder um den landwirtschaftlich fähigen, aber an der D-Mark gescheiterten damaligen LPG-Vorsitzenden. Oder ist es doch jener ominöse V-Mann, der dritte Tote von der vermurksten Geheimdienstoperation auf dem Bahnhof Bad Kleinen im Juni 1993, der danach eventuell vom BND und dem BfV in einer konzertierten Aktion in dem morastigen Tümpel am Dorfrand versenkt wurde?
Dieses Herumgeistern in der Vergangenheit mag sich aufregend anhören, ist jedoch reinste Entspannung gegenüber den abenteuerlichen Kämpfen, die Tine in ihrem früheren Leben ausgetragen hat. Da war sie Aktivistin einer Gruppe, die sich »Ästhetische Linke« nannte. Sie stiegen dem Reichstag aufs Dach, knüpften sich erst Schwarz-Rot-Gold vor und dann ab. Flaggenwechsel auf dem Tempel der bürgerlichen Politsimulation. Und was wurde gehisst? Vier rote Fahnen! Ganz schön mutig.
Der Staat tut, was er am besten kann: Er zeigt sich scheinbar beeindruckt und stuft die Aktion als terroristisch ein. Deshalb taucht Tine in Berlin ab und in Bad Kleinen wieder auf. Einfahren will sie nicht, dafür fährt sie viel zu sehr auf Männer ab. Als gewiefte Aktivistin weiß Tine, wo man sich am besten versteckt. Im Licht. Sie leiert gemeinsam mit der Dorfjugend ein Filmprojekt an. Der Polizeieinsatz in Bad Kleinen, bei dem RAF-Mann Wolfgang Grams offiziell lediglich angeschossen wurde, wird nachgespielt und mit der Handkamera aufgenommen.
Tines perfekte Tarnung droht aufzufliegen, als plötzlich ihr Lover von der »Ästhetischen Linken« an die Tür von Papas Bauernkate klopft. Die geklaute Fahne vom Reichstag hat er auch dabei. Er ist eben ein bisschen doof, aber gut im Bett, so wie die Nazis im Dorf, könnte man zumindest vermuten. Wir erfahren es nicht. Denn Tines aktueller Favorit ist Mischa, der in der Sowjetunion geboren wurde und nun als Doktorand in Professor Gömers Moorleichenteam arbeitet. Das passt ganz gut zum Plot, denn die beiden Brüder des flüchtigen SS-Rekruten sind in Stalingrad gefallen. Bei einem Traktorentauziehen, John Deere gegen Belarus, gewinnt übrigens Belarus, was von den Nazis mit den Worten kommentiert wird: »Der Russe gewinnt immer.«
Das wäre eigentlich ein netter Schluss, doch neben der jungen Welt, die am Anfang eine halbe Sekunde lang zu sehen ist, gibt es noch einen Kracher: Till Lindemann als Erlkönig. In einem Interview mit »The Spot« hat Regisseurin Laura Laabs gesagt: »Die Dreharbeiten waren im Winter 2022 abgeschlossen. Dann folgten die Anschuldigungen.« Das ekelerregend dumme Marketingding, das sich Rammstein mit der stilisierten KZ-Kleidung erlaubt hatte, war allerdings schon im Frühjahr 2019 Thema gewesen. – Ausblenden scheint zur deutschen Geschichte dazuzugehören wie der Morast zu einer Moorleiche.
»Rote Sterne überm Feld«, Regie: Laura Laabs, BRD 2025, 133 Min., bereits angelaufen
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