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Aus: Ausgabe vom 15.11.2025, Seite 11 / Feuilleton
Kino

Das gute Leben

Die israelische Mehrheitsgesellschaft macht schlechte Laune: Nadav Lapids fünfter Spielfilm »Yes«
Von Holger Römers
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Wie dekadent hätten Sie es denn gerne?

Dass Nadav Lapids fünfter Spielfilm »Yes« im hebräischen Original gleichbedeutend »Ken« heißt, ist dialektisch zu verstehen. Der Titel gibt zunächst schlicht dem Wunsch der Hauptfigur Ausdruck, die israelische Mehrheitsgesellschaft konformistisch bejahen zu können. Doch die einsilbige Unbestimmtheit dieses Einverständnisses stellt sogleich dessen Möglichkeit in Frage. Entsprechende Skepsis wird vom Vorgängerwerk des 1975 in Tel Aviv geborenen Filmemachers befördert, da »Aheds Knie« vor vier Jahren als ungestümes, wütendes Nein zu den in Israel herrschenden Verhältnissen wirkte.

Wie schon in jenem Film, der um einen renommierten Filmemacher kreiste, wird der Protagonist auch in »Yes« stets nur Y. genannt – womit Ähnlichkeiten freilich schon erschöpft sind. Nicht nur wird Y. hier von einem anderen Schauspieler (vom Theatermacher und Performancekünstler Ariel Bronz in dessen Spielfilmdebüt) verkörpert, sondern die Figurenzeichnung lässt diesmal kaum den Schluss zu, dass wir es mit einem Alter ego des Regisseurs zu tun hätten. Im Gegensatz zu Lapid, der 2019 für »Synonymes« bei der Berlinale den Goldenen Bären gewonnen hat und nun wie gewohnt auch als Autor des Drehbuchs firmiert, ist die Hauptfigur des Films künstlerisch gescheitert. Wir erfahren, dass Y. Konzertpianist werden wollte. Statt dessen gibt er auf rauschenden Festen, zu denen sich Mitglieder des Generalstabs ebenso wie Oligarchen einfinden, den Hofnarren, wobei kokette Tanzeinlagen mit Ehefrau Yasmin (Efrat Dor) regelmäßig in sexuellen Dienstleistungen für Partygäste münden.

Dieser Mann mag sich einreden, jenes »gute Leben« zu führen, das vom eingeblendeten Titel des ersten Kapitels ironisch proklamiert wird. Um an der Illusion zumindest vorläufig festhalten zu können, ist Y. aber zu steter Rastlosigkeit und Zerstreutheit gezwungen. So sind Rhythmus und Tempo dieses Films davon geprägt, dass Shai Goldman seine Kamera wild um die eigene Achse wirbeln oder auf und ab hüpfen lässt. Entsprechende Spielereien, die sich auch in Nili Fellers Montage niederschlagen, mögen gelegentlich als formaler Hyperaktivismus erscheinen, doch sie vermitteln uns zugleich das verzweifelte Durchdrehen des Protagonisten. Und sie beugen dem kulinarischen Schwelgen in ausgestellter Dekadenz vor, auf das sich Paolo Sorrentino aus scheinbar ähnlichen Motiven gern versteift.

Als wirkungsvollstes dramaturgisches Mittel erweist sich indes das Sounddesign. Mit Hilfe der Tongestalter Moti Hefetz, Aviv Aldema und Adrian Baumeister lässt Lapid schon in der Anfangssequenz den Eurotrash-Tanzhit »Be My Lover« mit der ­Elvis-Schnulze »Love Me Tender« um Dominanz auf der Tonspur ringen. Das lenkt die Aufmerksamkeit auf die Subjektivität der Tonebene und wirft die Frage auf, inwieweit Aspekte der Wirklichkeit sich willentlich ausblenden oder in den Vordergrund rücken lassen. Das beginnt damit, dass Tel Avivs Straßenlärm anschwillt, sobald Y. und Yasmin sich mit ihrem Baby auf die heimische Couch setzen, um nach einer Partynacht die vermeintliche Ruhe zu genießen. Und es setzt sich in abrupt eingeblendeten Nachrichten über Dutzende Tote fort, die von den Luftangriffen im nahen Gaza verursacht werden.

So spiegelt dieser atemberaubende, kluge Film die gegensätzlichen, aber gleichermaßen verständlichen Impulse, vor einer unangenehmen Wahrheit davonzulaufen oder ihr ins Gesicht zu blicken. Die Alternative wird dramaturgisch zugespitzt, als ein Bekannter (Sharon Alexander), der nunmehr für den Generalstab PR macht, Y. den lukrativen Auftrag eines »russischen« Milliardärs (Alexej Serebrjakow) zuschanzt: Bis zu einem auf Zypern stattfindenden Luxusevent soll er einen Songtext, der offenbar in der Realität existiert und dessen auf Gaza gemünzter Inhalt nur genozidal zu nennen ist, mit einer Eigenkomposition hymnisch untermalen.

Vor dieser Aufgabe scheint der Protagonist spontan in jugendliche Unschuld fliehen zu wollen. Jedenfalls stiehlt er sich nachts aus dem Haus, um unvermittelt jene Frau wiederzutreffen, in die er auf dem Konservatorium verliebt war. Y. drängt Leah (Naama Preis), die sich jüngst für die staatliche Propaganda hat rekrutieren lassen, zu einem furiosen, ungeschnittenen Monolog, der besonders schauderhafte Episoden des 7. Oktober 2023 rekapituliert. Doch die Eskapade des einstigen Paares endet in Sichtweite Gazas, über dem am Horizont Rauchschwaden aufsteigen, während Kanonendonner auf der Tonspur Knutschgeräusche überdeckt. Die Wirklichkeit dieses Krieges erlaubt für Lapid offenbar nur die Konsequenz entschlossener Negation (in jeglichem Sinne), wobei die bestürzende Wirkung von »Yes« nicht zuletzt darin besteht, dass nicht einmal perspektivisch irgendein »Ja« noch denkbar erscheint.

»Yes«, Regie: Nadav Lapid, Israel/Frankreich/BRD/Zypern 2025, 150 Min., bereits angelaufen

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