Klimaziele schmelzen dahin
Von Wolfgang Pomrehn
Im brasilianischen Belém geht die erste Woche der UN-Klimakonferenz COP 30 zu Ende. Mit Ergebnissen ist allerdings erst am Freitag nächster Woche zu rechnen, und vermutlich werden diese nicht viel besser als die der letzten 30 Jahre ausfallen. Dafür dürften schon die rund 1.600 angemeldeten Lobbyisten der Erdöl- und Gasindustrie sorgen – das seit langem größte Delegiertenkontingent dieser Art. Knapp 600 von ihnen sind Mitglied von Länderdelegationen und haben dadurch Zugang zu den Verhandlungen hinter verschlossenen Türen. Dies geht aus einer am Freitag veröffentlichten Analyse des Bündnisses »Kick Big Polluters Out« hervor, dem mehr als 450 Umweltschutz- und Klimagerechtigkeitsorganisationen aus aller Welt angehören.
Derweil stagnieren die Treibhausgasemissionen auf Rekordniveau. Nach Angaben des Global Carbon Project (GCP) ist der Ausstoß von CO2 in Nordamerika und Europa zuletzt wieder gestiegen, während sich die Zunahme in Indien und China deutlich verlangsamt. Außerdem ist etwas weniger Treibhausgas durch Entwaldung und andere Änderungen der Landnutzung freigesetzt worden. Insgesamt betrugen die Emissionen demnach rund 42,2 Milliarden Tonnen CO2. Entsprechend steigt auch die CO2-Konzentration in der Atmosphäre, wo diese den Treibhauseffekt weiter verstärkt. In den vergangenen Jahren war der Zuwachs so stark wie nie zuvor seit mindestens 70 Jahren. Solange zurück liegen inzwischen die ersten repräsentativen CO2-Messungen. Die Wissenschaftler des GCP schätzen, dass acht Prozent der in dieser Zeit erfolgten Zunahme des Treibhausgases in der Atmosphäre eine Folge des bereits einsetzenden Klimawandels waren. Mit anderen Worten: Es wurde eine Rückkoppelung in Gang gesetzt, die die Probleme noch verstärkt.
Doch die zu den Verhandlungen vorgelegten Selbstverpflichtungen der Staaten werden diesem Umstand bisher in keiner Weise gerecht: Nach unterschiedlichen Analysen des UN-Umweltprogramms UNEP und des gerade veröffentlichten Climate Action Trackers reichen sie gerade mal aus, die globale Erwärmung auf 2,3 bis 2,5, vielleicht auch nur auf 2,6 Grad Celsius über dem vorindustriellen Niveau zu beschränken. Dabei ist keineswegs sicher, dass die vorgegebenen Ziele auch alle umgesetzt werden. Der am späten Donnerstag abend verabschiedete Plan der Bundesregierung zum Bau neuer, subventionierter Gaskraftwerke spricht zum Beispiel völlig dagegen.
Vielleicht sollte auch eher von globaler Erhitzung gesprochen werden, denn in der Pariser Klimaübereinkunft war vor zehn Jahren vereinbart worden, dass die Erwärmung »deutlich unter zwei Grad« gehalten werden und möglichst 1,5 Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Niveau nicht überschreiten soll. Jenseits dieser 1,5-Grad-Grenze – da ist sich die Klimawissenschaft weitgehend einig – werden mehr und mehr Subsysteme des planetaren Klimas umschlagen und für sehr, sehr lange Zeit in einen anderen Modus verfallen. Für den Golfstrom mehren sich zum Beispiel bereits die Anzeichen, dass er schwächer wird, und auch für die Korallenriffe scheint jede Hilfe zu spät, rund um den Globus beginnen sie abzusterben. Inselstaaten verlieren damit einen wichtigen Schutz vor der Brandung, Millionen Menschen ihr Einkommen aus Fischerei und Tourismus und die Menschheit eine wichtige Eiweißquelle.
Eigentlich ein Punkt, der die Frage nach Schadenersatz aufwirft. Tatsächlich wird diese von vielen Vertretern des Südens, sowohl von den Staaten als auch den Organisationen der Zivilgesellschaft, immer wieder gestellt. Die reichen Länder, die für den allergrößten Teil der in der Atmosphäre angereicherten Treibhausgase verantwortlich sind, wehren sich dagegen allerdings mit Händen und Füßen. Die BRD steht übrigens im Ranking der Länder mit den meisten akkumulierten Emissionen immerhin an sechster Stelle hinter Ländern, die allesamt eine erheblich größere Bevölkerung haben. Immerhin haben die reichen Länder inzwischen vertraglich die Verpflichtung übernommen, den ärmeren Ländern bei der Anpassung an den Klimawandel und bei der Entwicklung mit klimafreundlichen Technologien finanziell unter die Arme zu greifen. Wie und in welchem Umfang das geschehen soll, ist in Belém, wie schon in den Jahren zuvor, heftig umstritten.
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