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Warum Merz scheitert

Von Lucas Zeise
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Lasst uns den Bundeskanzler ernst nehmen: Zu einer Grafik des Ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung, die den rasanten Anstieg der Staatsausgaben, die flache Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts (BIP) und den Rückgang der privaten Investitionen seit 2015 bis heute darstellt, sagt Friedrich Merz, wenn sich die drei Linien nicht während der laufenden Legislaturperiode annähern würden, müsse man feststellen: »Diese Regierung ist gescheitert.« So berichtet es Bild aus einer Sitzung der Unionsfraktion im Bundestag. Die Geschichte wird seither zusammen mit der Präsentation der schlichten Grafik immer wieder in der Presse und in diversen Talkshows hochgehalten. Sie zeigt, so die verbreitete Meinung, den Ernst der Lage.

Die Bundesregierung ist mit dem festen Vorsatz angetreten, die Staatsausgaben im Lauf der Legislaturperiode deutlich zu erhöhen. Zu diesem Zweck wurden ja über eine Grundgesetzänderung die beiden Sondervermögen für Infrastruktur (500 Milliarden Euro) und Rüstung (nach oben offen) eingerichtet. Man kann also jetzt schon mit Sicherheit sagen, dass die erste Kurve – die Staatsausgaben – sich auch nach Herrn Merz' Ansicht weiter kräftig aufwärts bewegen wird. Die BIP-Kurve zeigt ihrerseits seit 2022 einen sachten Abfall. Leichte Rezession oder Stagnation sagt man auch.

Die dritte Linie ist die entscheidende: Sie zeigt die Investitionstätigkeit des Kapitals. Das ist nach übereinstimmender Ansicht der Ökonomen von rechts nach links, von fade-tautologisch bis marxistisch die eigentlich entscheidende Größe. Erst wenn Kapital tätig wird, wenn es Produktionskapazitäten ausweitet und neue Arbeitskräfte anheuert, weil sich daraus Profit erzielen lässt, steigt die Konjunktur.

Warum aber sollten die Kapitalisten investieren, wenn die Kapazitäten schon jetzt nicht ausgelastet sind? Es fehlt an effektiver Nachfrage. Im Ausland hat China aufgehört, in der BRD produzierte Autos und Maschinen zu kaufen, weil sie dort mittlerweile selbst hergestellt werden. Die USA schotten ihren Markt durch Zölle ab, und die restliche EU ist in einer ähnlichen Schwächephase wie die BRD. Im eigenen Land hat die Inflationswelle zwischen 2021 und 2023 und der anscheinend unaufhaltsame Anstieg der Mieten die Kaufkraft der Bevölkerung auf breiter Front geschwächt. Nur die Staatsausgaben sind, einige Lücken füllend, entsprechend gestiegen.

Der Sachverständigenrat hat am vergangenen Mittwoch vorausgesagt, dass die Sondervermögen für Rüstung und Infrastruktur 2026 nicht ausreichen werden, um das BIP-Wachstum über ein Plus von einem (in Zahlen: 1) Prozent zu hieven. Er beklagt, dass die dort vorgesehenen Ausgaben zur Hälfte nur neu entstandene Lücken füllen. Das müsse anders werden, meinen die »Wirtschaftsweisen«. Aber sie verlieren kein Wort dazu, wie die Nachfragelücke tatsächlich zu schließen ist. Auf diese Weise wird es nur in der Rüstungsindustrie zu einer Kapazitätserhöhung kommen; nicht einmal die Bauwirtschaft wird angeregt.

Weil Herr Merz im Einklang mit den Wirtschaftsverbänden und der veröffentlichten Meinung daran festhält, das Heil in der Kürzung von Renten und Sozialleistungen zu suchen, wird er das Kapital nicht zu Investitionen (also zur erweiterten Profitmacherei) bewegen. Und deshalb wird er tatsächlich scheitern.

Unser Autor ist Finanzjournalist und Publizist. Er lebt in Aachen

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  • Leserbrief von G. v. Siebert (17. November 2025 um 15:18 Uhr)
    In dem genannten Artikel verstehe ich auch wieder eine bestimmte Argumentation nicht, bzw., ich hätte es anders geschrieben. Am Ende schreibt Herr Zeise: »… wird er das Kapital nicht zu Investitionen (also zur erweiterten Profitmacherei) bewegen und deshalb wird er tatsächlich scheitern.« Ich glaube auch, dass Merz scheitern wird. Glaube aber, wenn er scheitert, dann hauptsächlich wegen des Gezeters in der Mainstreampresse, wenn mal irgendwelche Auseinandersetzungen zwischen den Koalitionären notwendig sind. Was ich nicht so verstehe, nicht so gut finde an dem letzten Absatz von Herrn Zeise: Er sagt/schreibt nicht, dass das CDU/SPD-Programm scheitern wird, weil das private Finanzkapital nicht zu Investitionen bereit ist, solange nicht ein überdurchschnittlicher Profit dabei zu machen ist. Ich denke, es wäre gut gewesen, das an dieser Stelle mal deutlich zu benennen. In China würde das anders laufen mit dem privaten Finanzkapital. Ich finde, man sollte jede Gelegenheit nutzen, darzustellen, inwiefern die westlichen Wirtschaftsschwierigkeiten mit dem westlich-kapitalistischen System zusammenhängen.

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