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Aus: Ausgabe vom 12.11.2025, Seite 8 / Kapital & Arbeit
»COP 30«

Vorzeigeland mit Agroproblem

Brasilien: Protestkarawane gegen Agrarindustrie zieht zur UN-Klimakonferenz
Von Matthias Rude
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Letzte Etappe vor der UN-Klimakonferenz: Protestierende Landarbeiter und Indigene

Ein ungewöhnlicher Protestzug bewegt sich durch Brasilien: die »Caravana da Resposta« (Karawane der Antwort). Über 300 Landarbeiter, Indigene und Umweltaktivisten legen auf Land- und Wasserwegen im Zeitraum von zwei Wochen über 3.000 Kilometer entlang der »Sojaroute« zurück – von Sinop im Bundesstaat Mato Grosso, einem Zentrum des Sojaanbaus, bis nach Belém im Norden, wo noch bis zum 21. November die UN-Klimakonferenz COP 30 stattfindet. Ein Boot führt die letzte Etappe an und dient zugleich als Unterkunft, so dass die Teilnehmer bei der Konferenz präsent sein können. Sie kritisieren die sozialen und ökologischen Folgen des agroindustriellen Exportmodells: Reichtum konzentriert sich in den Händen weniger, Wälder werden zerstört, die Umwelt wird vergiftet, traditionelle Lebensweisen gefährdet. Gefordert wird ein Modell, das den Menschen dient, statt dem Profit.

Die Karawane wird von der »Aliança Chega de Soja« (Schluss mit Soja) organisiert, einem Bündnis aus über 40 indigenen, bäuerlichen, ökologischen und sozialen Gruppen. Während Präsident Lula da Silva international als Klimaverteidiger auftritt, beklagen Aktivisten, dass Vertreibungen und Zerstörungen in den Anbaugebieten unvermindert fortgesetzt werden. »Die Route, die sie Sojaroute nennen, ist in Wirklichkeit eine Route sozialer Ungerechtigkeit«, so Vivi Borari, Sprecherin der Bewegung Tapajós Vivo aus dem Westen des Bundesstaats Pará, genau entlang der Sojatransportroute.

Im Fokus stehen nicht nur Sojamonokulturen, sondern auch Infrastrukturprojekte wie die geplante Ferrogrão-Bahnlinie von Sinop nach Itaituba. Auf 933 Kilometern sollen jährlich über 50 Millionen Tonnen Soja transportiert werden. Eine Abholzung auf bis zu 49.000 Quadratkilometern Fläche wird befürchtet – das wäre mehr als die Fläche Niedersachsens. »Sie wollen unsere Wälder den Reichen überlassen, die mit Soja noch reicher werden«, meint Alessandra Korap, indigene Anführerin der Munduruku.

Auch Fleischkonzerne wie JBS stehen in der Kritik: Sie beziehen Rinder von Weideflächen, die zuvor Regenwald oder indigenes Territorium waren. Brasilien steht an der Spitze der weltweiten Soja‑ und Rindfleischexporte, wobei ein großer Teil des Sojas als Tierfutter verwendet wird. Kritiker weisen darauf hin, dass internationale Konzerne und Finanzinstitute von Soja- und Fleischexporten profitieren, während lokale Gemeinschaften die ökologischen und sozialen Kosten tragen. Für die EU ist Brasilien ein Schlüsselpartner des geplanten Mercosur-Freihandelsabkommens – ein Vertrag, der den Zugang zu billigen Rohstoffen sichern, zugleich aber die bäuerliche Produktion weiter schwächen würde.

Schon unter der Militärdiktatur (1964–1985) wurde der Agroexport gefördert, um die Handelsbilanz zu stabilisieren. Auch die derzeitige sozialdemokratische Regierung genehmigt weiterhin Projekte, die den Interessen des Agrobusiness dienen. Brasiliens Regierung gebe sich progressiv, kritisiert die Soziologin Larissa Bombardi, die wegen Morddrohungen von Pestizidherstellern ins Europäische Exil gegangen ist, faktisch herrsche aber nach wie vor eine »kolonialistische Struktur, in der die Großgrundbesitzer oder ihre Vertreter das Land kontrollieren«.

Die Karawane versteht sich als Gegenmacht von unten. Sie fordert »territoriale Gerechtigkeit« – das Recht der Landbevölkerung, über ihre Ressourcen und Produktionsweisen selbst zu bestimmen. In Lagern entlang der Route werden Seminare abgehalten, Saatgut getauscht und Strategien zur Verteidigung indigener Territorien diskutiert. Für Lula, der auf internationale Anerkennung und wirtschaftliche Stabilität angewiesen ist, stellt der Protest ein Dilemma dar. Seine fragile Koalition aus Gewerkschaften, Sozialbewegungen und Teilen des Kapitals könnte bei zu harter Kritik am Agrobusiness ins Wanken geraten. Diesen Mittwoch soll die Karawane in Belém eintreffen.

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