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Aus: Ausgabe vom 30.09.2025, Seite 15 / Natur & Wissenschaft
Klimawandel

Historische Schuld

UN-Klimasondergipfel und Deutsche Physikalische Gesellschaft zeichnen düsteres Bild
Von Wolfgang Pomrehn
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Taifun »Gaemi« in Marikina City nahe Manila auf den Philippinen (24.7.2024)

Kommt alles noch viel schlimmer als gedacht? Während US-Präsident Donald Trump vergangene Woche vor der UN-Vollversammlung den Klimawandel einen großen Schwindel nannte, mahnten deutsche Wissenschaftler: Der Klimawandel beschleunige sich, und es sei höchste Zeit, über die Worst-Case-Szenarien zu sprechen. Mehr und mehr der sogenannten neun planetaren Grenzen werden überschritten, warnte auch Johan Rockström, Direktor des Potsdam-In-stituts für Klimafolgenforschung, einen Tag nach Trumps Rede die UN-Generalversammlung. UN-Generalsekretär António Guterres hatte ihn gebeten, einen von ihm einberufenen Sonderklimagipfel zu eröffnen. Guterres hoffte, dadurch mehr Länder animieren zu können, endlich ihre Selbstverpflichtungserklärung abzugeben. Diese sogenannten Nationally Determined Contributions (NDC), in denen die Staaten ihre Klimaschutzziele definieren, müssen im Rahmen der Pariser Klimaübereinkunft alle fünf Jahre erneuert und vorgelegt werden.

Doch für die aktuelle Runde mit dem Zieljahr 2035 lief die Deadline eigentlich schon im Februar ab. Die UN hatte daraufhin eine neue für Ende September gesetzt, um rechtzeitig zur großen Klimakonferenz im November aus den NDCs einen Synthesebericht zu erstellen, der als Verhandlungsgrundlage dienen soll. Doch auch diese Frist lassen viele Länder verstreichen, nicht zuletzt die EU. Diese hatte sich auf ihrem Ministertreffen Mitte September nicht auf gemeinsame Ziele einigen können. Das hielt Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen indes nicht davon ab, sich am Donnerstag vor der UNO kräftig auf die eigene Schulter zu klopfen, von einer führenden Rolle der EU im Klimaschutz zu schwadronieren.

Ebenfalls am Donnerstag veröffentlichten die Deutsche Physikalische Gesellschaft (DPG) und die Deutsche Meteorologische Gesellschaft (DMG) die oben erwähnte dringende Mahnung in Form einer umfangreichen gemeinsamen Erklärung. Für gewöhnlich sind die beiden wissenschaftlichen Gesellschaften, die eine mit rund 50.000, die andere mit etwa 2.000 Mitgliedern, eher zurückhaltend, wenn es um politische Stellungnahmen geht. Zuletzt traten sie 1987 gemeinsam an die westdeutsche Öffentlichkeit. »Es besteht der begründete Verdacht, dass schon innerhalb der nächsten 100 Jahre die mittlere Temperatur (…) um etwa drei bis neun Grad ansteigen wird, wenn die bisher beobachtete Zuwachsrate in etwa konstant und die Verzögerung durch die hohe Wärmekapazität des Ozeans gering bleibt«, hieß es damals, und: »Der erforderliche Strukturwandel in der Energietechnik, Energiewirtschaft und Energiepolitik muss jetzt beginnen, damit er langsam vollzogen werden kann.«

Doch daraus wurde bekanntlich nichts. Die deutschen Emissionen sind zwar seit 1987 deutlich gesunken, allerdings von einem sehr hohen Niveau von rund 15 auf ein immer noch viel zu hohes Level von 7,7 Tonnen CO2-Äquivalente pro Kopf und Jahr. Eine knappe Hälfte von dem, was seitdem hierzulande in die Luft geblasen wurde – genauer: 43 Prozent des CO2 – hat sich in der Atmosphäre angesammelt und wird für viele Jahrhunderte für einen verstärkten Treibhauseffekt sorgen. Alles, was nicht mehr oder weniger sofort von Ozeanen (26 Prozent) oder Biosphäre (31 Prozent) aufgenommen wird, kann durch die sonstigen natürlichen Prozesse nur sehr langsam der Atmosphäre entzogen werden. Die Industrieländer, nicht zuletzt Deutschland, so die beiden Gesellschaften in ihrer Stellungnahme, haben somit in gewisser Weise eine historische Schuld angehäuft.

Eine Schuld, die ohne die dämpfende Funktion von Ozeanen und Biosphäre noch deutlich höher ausfiele. Doch nun sehen die Wissenschaftler Anzeichen, dass die Biosphäre zunehmend überlastet wird. 2024 nahm die CO2-Konzentration in der Atmosphäre um 3,5 Millionen Volumenanteile zu, was der »mit Abstand (…) größte jährliche Zuwachs seit dem Beginn der direkten CO2-Messungen« gewesen sei.

Passend dazu mehren sich die Anzeichen, dass die globale Erwärmung dauerhaft beschleunigt wird. Im vergangenen Jahrzehnt lag die globale Temperatur im Durchschnitt 1,1 Grad Celsius über dem Niveau der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, aber 2023 und 2024 bereits 1,5 Grad oder etwas mehr. Die Prognosen, die durch die Berichte des sogenannten Weltklimarats, des IPCC, bekannt sind, arbeiten nur mit den wahrscheinlichsten Szenarien. Eine zunehmende Zahl von Forschern kritisiert sie als zu konservativ. Es müsse mehr über die Worst-Case-Szenarien geredet und geforscht werden, so der Tenor der Erklärung. Unter anderem wäre zu klären, woran die jüngste Beschleunigung der Erhitzung des Planeten liegt und ob diese Beschleunigung anhalten könnte. DPG und DMG halten es inzwischen für durchaus möglich, dass zur Jahrhundertmitte bereits drei Grad Celsius Erwärmung erreicht sein könnten. Zu den Konsequenzen, die sie daraus ziehen, gehört, dass der Abschied von fossilen Energieträgern erheblich beschleunigt wird und dass auch mehr über Anpassung geredet werden muss. Unter anderem schlagen sie vor, eine Diskussion über die Aufgabe tiefliegender Regionen an Nord- und Ostsee zu beginnen.

Zu den verheerenden Konsequenzen der Klimaveränderungen gehören vermehrte und intensivere Dürren und Starkregen, die Ernten vernichten und Menschen in den Hunger treiben. Nach Angaben des UN-Flüchtlingswerks hat allein der letzte El Niño 2023/24 94 Millionen Menschen in 18 Ländern in eine Hungerkrise gestürzt. Zum Beispiel hätten 2024 im Südsudan »schlimmste Überschwemmungen Hunderttausende Menschen (…) zur Flucht« gezwungen. El Niño ist ein quasi-periodisch auftretendes und vom Klimawandel erheblich verstärktes Wetterphänomen über dem tropischen Pazifik, das in einigen Regionen zu verheerenden Niederschlägen und in anderen zu vernichtenden Dürren führt.

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