Wohin steuert die Berliner Linke in der Palästina-Frage?
Interview: Susann Witt-Stahl
Sie sprechen mit Ihren Nahostanträgen alte Streitpunkte für den bevorstehenden Landesparteitag von Die Linke Berlin an. Das gilt vor allem für die Forderung nach »Entkriminalisierung« der palästinasolidarischen Kampagne »Boycott, Divestment and Sanctions«, kurz BDS. Warum zu diesem Zeitpunkt?
Unser Antrag ist keine Provokation, sondern der nächste logische Schritt. Nachdem wir uns im Mai 2025 als Partei zur Jerusalem Declaration on Antisemitism, kurz JDA, bekannt und im September die größte palästinasolidarische Demonstration der deutschen Geschichte mitorganisiert haben, müssen wir nun auch über konkrete Maßnahmen sprechen, die Israel bewegen, Apartheid, Besatzung und Genozid zu beenden. Die JDA betont, dass BDS gängige gewaltfreie Formen des politischen Protests anwendet. Als größte zivilgesellschaftliche Kampagne Palästinas wird sie von vielen progressiven israelischen und jüdischen Stimmen weltweit unterstützt. Die Forderungen von BDS, wie das Rückkehrrecht für palästinensische Geflüchtete und gleiche Rechte für alle, sind im internationalen Recht verankert. Die deutsche Regierung, zahlreiche Unternehmen und Institutionen unterstützen Israel durch materielle und ideelle Kooperationen. Deshalb braucht es zivilen Druck von unten, der nicht durch konstruierte Antisemitismusvorwürfe kriminalisiert wird.
Inwiefern ist die aktive BDS-Unterstützung »Aufgabe sozialistischer Parteien«, wie in Ihren Anträgen zu lesen ist?
Seit Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht haben sich sozialistische Parteien nie auf soziale Fragen wie Löhne und Mieten beschränkt. Es ging ganz zentral auch immer um Krieg und Frieden. BDS beleuchtet die Frage, wer Produktion, Logistik und Märkte kontrolliert und von Krieg und Ausbeutung profitiert. Wenn ein Staat seine Gewalt einsetzt, um ein Volk zu enteignen, auszuhungern und zu ermorden, müssen sozialistische Kräfte handeln. Dabei müssen die ökonomischen und ideologischen Verflechtungen sowie die geopolitischen Interessen erkannt werden, die es Israel ermöglichen, einen »Genozid im Livestream« durchzuführen und fortlaufend seine Nachbarn zu bombardieren. Solidarität muss uns etwas kosten, sonst bleibt sie Gefühlsduselei und Symbolpolitik.
Welchen Sinn ergeben Forderungen wie »Sanktionen und ein Waffenembargo gegen Israel« auf Landesebene?
Während Israel einen Genozid begeht, liefert die Bundesregierung Waffen unter anderem von Rheinmetall in Berlin. Der Axel-Springer-Konzern profitiert über die Tochterfirma Yad 2 vom Verkauf von Immobilien, die auf gestohlenem palästinensischem Land in der Westbank stehen. Die EU unterstützt Israel über das »Horizon«-Programm in Milliardenhöhe, wodurch auch Berliner Universitäten mit Israels militärisch-industriellen Komplex verwoben sind. Es ist sinnvoll, am eigenen Standort zu untersuchen, wie sich unsere Komplizenschaft mit dem Genozid in Gaza materialisiert.
Die Linke ist bereits 2008 von Gregor Gysi auf die deutsche Staatsräson der »Israel-Solidarität« eingeschworen worden, 2011 hat sie BDS und die Gaza-Flottille als »rechtsextremistisch« eingestuft. Der rechte Parteiflügel füttert jetzt schon eifrig die These des Medienestablishments, Ihre Nahostanträge hätten »den nächsten Anti-Israel-Eklat« produziert. Müsste nicht erst einmal grundsätzlich um einen Kurs wieder nach antiimperialistischem und sozialistischem Kompass gerungen werden, damit Ihr Vorstoß nachhaltig wirken kann?
Seit zwei Jahren steckt Die Linke in einem intensiven Prozess der Neuorientierung. Einige Parteiaustritte und zahlreiche -eintritte sind Ausdruck des Wandels. Wir kämpfen dafür, dass dies auch bedeutet, sich wieder stärker auf die internationalistischen Wurzeln der Partei zu besinnen, über nationale Grenzen hinauszudenken und globale Zusammenhänge zu verstehen. Und es bewegt sich etwas. Wir als Berliner LAG Palästina-Solidarität stehen längst nicht mehr allein da. Bis heute sind in ganz Deutschland elf LAGs entstanden, die mit uns gemeinsam die Partei von links beleben. Diese Partei gehört auch uns!
Nina Pietropoli ist Mitglied im Koordinierungskreis der Landesarbeitsgemeinschaft Palästina von Die Linke Berlin
Tageszeitung junge Welt am Kiosk
Die besondere Berichterstattung der Tageszeitung junge Welt ist immer wieder interessant und von hohem Nutzwert für ihre Leserinnen und Leser. Eine gesicherte Verbreitung wollen wir so gut es geht gewährleisten: Digital, aber auch gedruckt. Deswegen liegt in vielen tausend Einzelhandelsgeschäften die Zeitung aus. Überzeugen Sie sich einmal von der Qualität der Printausgabe.
links & bündig gegen rechte Bünde
Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.
Ähnliche:
STefan Boness/IPON19.11.2024Solidarisch für Ausschluss
ZUMA Wire/IMAGO15.05.2024Zwist in der EU-Linken
Hannes P. Albert/dpa03.11.2023Habecks Bekenntnis
Mehr aus: Inland
-
Was hilft anstelle von Sanktionen?
vom 13.11.2025 -
Für vier zu »radikal«
vom 13.11.2025 -
Zwischen NATO und Noworossija
vom 13.11.2025 -
Druck im Betriebskessel
vom 13.11.2025 -
Weniger Jobs, mehr Gewinn
vom 13.11.2025