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Aus: Ausgabe vom 11.11.2025, Seite 3 / Ansichten

Kein langer Atem

EU schwänzt EU-CELAC-Gipfel
Von Jörg Kronauer
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EU-CELAC-Gipfel in Santa Marta (9.11.2025)

Stell dir vor, es ist EU-Gipfel, und die EU geht nicht hin: Dieses Schmierenstück hat der europäische Staatenbund am Sonntag trotz seiner an Zynismen und an Absurditäten gewiss nicht armen Geschichte wohl zum ersten Mal aufgeführt. Das Opfer der Premiere: die CELAC, der Zusammenschluss aller 33 souveränen Staaten Lateinamerikas und der Karibik, mit dem sich »wir Europäer« (Ursula von der Leyen) zu ihrem vierten Gipfel treffen wollten, und zwar in Santa Marta an Kolumbiens Karibikküste. Der Ort sollte sich als verhängnisvoll erweisen. Zum einen fällt es dort schwer, die US-Mordangriffe auf Boote in der Karibik auszublenden – man hat das Meer stets im Blick, auf das sich die Fischer der Region kaum noch hinaustrauen, und zwar aus blanker Furcht, wie mindestens ein Kollege mit US-Raketen umgebracht zu werden. Zum anderen ist der Gastgeber des Treffens, Kolumbiens Präsident Gustavo Petro, kürzlich von den USA mit Sanktionen belegt worden, nur weil er die US-Mordkampagne in der Karibik kritisiert.

Eigentlich wäre der Gipfel für die EU wichtig gewesen. Als die Staaten Lateinamerikas und der Karibik vor drei Jahren auf das Kommando aus Brüssel, jetzt aber schnell Sanktionen gegen Russland zu verhängen, nur mit müdem Schulterzucken reagierten, wurde selbst »uns Europäern« klar, dass der Einfluss der EU in der Region erheblich geschrumpft war. Brüssel reagierte und startete eine Einflusskampagne, zu der neben den EU-typischen langen Strategiepapieren und warmen Werteworten eben auch regelmäßig abgehaltene Gipfeltreffen gehörten. Und das aus mehreren Gründen. Zum einen verfügt Südamerika über viele Rohstoffe, die die Industrie in der EU dringend braucht, Lithium zum Beispiel. Zum anderen hat China sich in zahlreichen CELAC-Staaten eine starke Position verschafft. Wer sie knacken will – und das will die EU nun mal –, muss konsequent Präsenz zeigen, so etwa mit Gipfeln, und braucht einen langen Atem. Beides gehört nicht unbedingt zu den Stärken der Union.

Das zeigte sich am Sonntag einmal mehr. Die EU-CELAC-Gipfel sind, der Name sagt’s, in aller Regel als Treffen der Staats- und Regierungschefs geplant. Und wenn US-Präsident Donald Trump den Gipfelgastgeber mit Sanktionen belegt und dessen Nachbarland mit Krieg zu überziehen droht? Dann sagen »wir Europäer«, um es uns mit »Daddy« (NATO-Generalsekretär Mark Rutte) nicht zu verderben, lieber mal klammheimlich die Teilnahme an dem Gipfel ab. So hielten es Friedrich Merz, Emmanuel Macron, Ursula von der Leyen und allerlei weitere europäische Heroen; der Gipfel war seinen Namen nicht mehr wert. Nun muss man nicht traurig sein, wenn die Kolonialisten – Frankreich und die Niederlande leisten sich heute noch die Herrschaft über jeweils mehrere in der Kolonialzeit eroberte Karibikterritorien – beim Versuch, ihren Einfluss auch auf ihre Exkolonien zu festigen, kläglich versagen. Etwas weniger Großmannssucht stünde »uns Europäern« aber gut.

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