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Aus: Ausgabe vom 05.11.2025, Seite 7 / Ausland
Nahostkonflikt

Gaza droht Fremdherrschaft

USA verfolgen neokoloniales Konzept für Palästina. Außenministertreffen wendet sich gegen Besetzung
Von Jakob Reimann
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Während Israel seine Angriffe auf Gaza fortsetzt, hat der Wiederaufbau schon begonnen (Deir Al-Balah, 4.11.2025)

Soll die Zukunft des Gazastreifens den Prinzipien palästinensischer Selbstverwaltung folgen oder denen einer neokolonialen Besatzung? Darüber gibt es bei entscheidenden internationalen Akteuren unterschiedliche Auffassungen. »Unser Grundsatz ist, dass Palästinenser über die Palästinenser regieren und selbst für ihre Sicherheit sorgen sollten«, sagte der türkische Außenminister Hakan Fidan laut AFP am Montag nach einem Treffen von Vertretern von sieben Staaten in Istanbul. »Niemand will, dass ein neues System der Vormundschaft entsteht.« Bei der Konferenz zur Zukunft Gazas haben die Außenminister von Indonesien, Jordanien, Katar, Pakistan, Saudi-Arabien, der Türkei und den Vereinigten Arabischen Emiraten eine palästinensische Selbstverwaltung gefordert. »Keine Maßnahme zur Lösung der Palästinenserfrage« dürfe »dazu führen, dass neue Probleme entstehen, hierauf achten wir sehr«, so Fidan weiter, der ausdrücklich auch im Namen seiner sechs Amtskollegen sprach. Man sei sich zudem darüber einig, dass für einen dauerhaften Frieden Schritte zu einer Zweistaatenlösung unternommen werden müssen. Konkrete Fortschritte bezüglich der Umsetzung des Friedensplans von US-Präsident Donald Trump wurden jedoch nicht bekannt.

Die sieben Außenminister machten nach ihrem Treffen klar, dass Israel seinen im US-Plan festgelegten Verpflichtungen nicht nachkomme, da es »regelmäßig gegen die Waffenruhe verstößt« und verhindere, dass Lebensmittel, Medikamente und andere humanitäre Hilfe die Palästinenser in Gaza erreichten, heißt es bei Al-Dschasira. »Wir wollen nicht, dass der Völkermord in Gaza erneut beginnt«, so Fidan. »Angriffe, die darauf abzielen, Palästinenser zu provozieren, sollten so schnell wie möglich aufhören«, sagte er. Trotz der seit Oktober geltenden Waffenruhe setzt Israel seine Angriffe in der gesamten Küstenenklave fort. Am Montag und Dienstag wurden dabei je drei Personen getötet und weitere verletzt.

Der türkische Außenminister brachte seine Hoffnung auf eine »rasche innerpalästinensische Aussöhnung« zwischen der Hamas und der Palästinensischen Nationalbehörde in Ramallah zum Ausdruck. Hierdurch könne »die Vertretung Palästinas in der internationalen Gemeinschaft« gestärkt werden. Am Sonnabend hatte Fidan mit Mitgliedern des Politbüros der Hamas in Istanbul über die Waffenruhe gesprochen. Diese sei demnach bereit, die Verwaltung des Gazastreifens an ein palästinensisches Komitee zu übertragen.

Den neokolonialen Ansatz verfolgt hingegen die US-Regierung. Die hat am Montag mehreren Mitgliedern des UN-Sicherheitsrats einen Resolutionsentwurf übermittelt, der die Einrichtung einer internationalen Truppe in Gaza für einen Zeitraum von mindestens zwei Jahren vorsieht. Dies berichtet das in Washington gut vernetzte Magazin Axios, dem eine Kopie des Entwurfs zugespielt wurde. Bei den sogenannten Internationalen Sicherheitskräften (ISF) soll es sich demnach explizit um eine »Eingreiftruppe und keine Friedenstruppe« handeln. Diese soll mit einem »umfassenden Mandat zur Verwaltung des Gazastreifens und zur Gewährleistung der Sicherheit« bis Ende 2027 ausgestattet werden, mit der Möglichkeit zur anschließenden Mandatsverlängerung. Die Truppe soll aus Soldaten mehrerer Länder bestehen und in Absprache mit dem sogenannten Friedensrat gebildet werden, dessen Vorsitz Präsident Trump übernehmen will und in dem auch der mutmaßliche Kriegsverbrecher Tony Blair sitzen soll.

In den kommenden Wochen solle über die Einrichtung der ISF beraten und abgestimmt werden. Auch die ersten Soldaten sollen bis Januar nach Gaza entsandt werden, so ein Offizieller gegenüber Axios über den Fahrplan der US-Regierung. Laut dem Entwurf sollen die ISF unter anderem mit der Grenzsicherung zu Israel und Ägypten, dem Schutz humanitärer Korridore sowie der Ausbildung einer neuen palästinensischen Polizeitruppe beauftragt werden. Auch die Zerstörung von Infrastruktur fällt in den Aufgabenbereich der ISF – solange diese als »terroristisch« eingestuft wird –, ebenso die »dauerhafte Entwaffnung« aller nichtstaatlichen Gruppen. Zuletzt hatten Vertreter der Hamas und des »Palästinensischen Islamischen Dschihads« gegenüber jW klargemacht, dass sie sich gegen eine Niederlegung der Waffen aussprechen. Im Entwurf wird betont, dass der Einsatz der ISF-Truppe »in enger Absprache und Kooperation mit Ägypten und Israel« erfolgen solle. Sollte der Entwurf so oder so ähnlich verabschiedet werden, bleibt also zu befürchten, dass es zu einer Fortführung des Krieges gegen die Menschen in Gaza kommt – dann nur eben mit internationaler Beteiligung.

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