Darth Vader der US-Regierung
Von Daniel Bratanovic
Fährt ein Staatsmann in die Grube, sind die Reaktionen in den Redaktionen gemessen. Die lateinische Gnome »De mortuis nil nisi bene« leitet Ton und Fasson der Nachricht: »Über die Toten rede nur wohlwollend.« Das trifft auch auf einen nie verurteilten Kriegsverbrecher zu. Dick Cheney ist nicht mehr. Am Montag 84jährig verstorben, gilt er als der mächtigste Vizepräsident in der US-Geschichte und vor allem als Mastermind hinter dem mit Lügen begründeten Krieg gegen den Irak 2003, der mindestens 100.000, wahrscheinlich aber weitaus mehr Tote forderte. Das ist zu würdigen.
Wenn die Taten eines Politikers nicht offen verteidigt werden können, weil noch verbliebener Ethos das verbietet, kommt eine Abstandsvokabel zum Einsatz. Dpa: »Er war ein Hardliner, der führende Kopf der Irak-Invasion und extrem umstritten.« Tagesschau.de: »Er war wohl einer der mächtigsten und umstrittensten (!) US-Vizepräsidenten.« Leicht variiert bei Bild: »Cheney war einer der meistkritisierten US-Vizepräsidenten aller Zeiten.« Und unfreiwillig komisch die Zwischenzeile: »Herzkranker Strippenzieher«. Die New York Times ist etwas einfallsreicher und nennt ihn einen »machiavellistischen Paterfamilias« und den »Darth Vader der Regierung«.
Welche Verheerungen, wieviel Leid und wieviel Tod der von ihm maßgeblich orchestrierte »War on Terror« angerichtet hat, taucht selbstredend weder in der einen noch in der anderen Zeitung, weder hier noch dort auch nur in einem Halbsatz auf. Viel wichtiger Cheneys Rolle als weitsichtiger und kritischer Elder Statesman gegen den amtierenden US-Präsidenten. Bild: »Anders als oft dargestellt, war Cheney kein reiner Machtpolitiker, sondern ein prinzipientreuer Republikaner«, ein »prinzipientreuer Trump-Gegner«. Die FAZ: »Am Ende kämpfte er gegen Donald Trump.« Dpa: »Cheney galt als Kritiker von US-Präsident Trump. Er machte vor der Wahl im November 2024 bekannt, dass er seine Stimme der Demokratin Kamala Harris geben werde.« Und so weiter. »Über die Toten rede …«
Andernorts fallen Kritik und Wahrheit zusammen. Das linke US-Magazin Jacobin schreibt: »Dick Cheney war ein verkommener Kriegsverbrecher, der nicht rehabilitiert werden sollte.« Der britische Journalist Owen Jones wiederum: »Es ist eine Tragödie. Dick Cheney war ein mörderischer Kriegsverbrecher – und er hätte für seine Verbrechen vor Gericht gestellt werden müssen. Laut einer Studie der Brown University starben zwischen 4,5 und 4,7 Millionen Menschen in den Kriegen nach dem 11. September. Es liegt an uns, dafür zu sorgen, dass die Kriegsverbrecher von heute sich nicht der Gerechtigkeit entziehen können.« Amen. (brat)
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