Armut als Programm
Von Oliver Rast
Wenn nichts dazwischenkommt, betrifft sie uns alle: die Pflege. Also, gepflegt zu werden. Ambulant oder stationär. Doch das »Pflegesystem steht am Kippunkt«, heißt es im DAK-Report, der am Dienstag vorgestellt wurde. Demnach bewerten zwei Drittel der Bevölkerung die Versorgung derzeit als nicht oder gar nicht gut. Und das 30 Jahre nach Gründung der sozialen Pflegeversicherung (SPV). Nun, das Zeugnis überrascht nicht, kann nicht überraschen.
Denn: Pflegebedürftige in stationären Einrichtungen müssen im ersten Jahr ihres Heimaufenthalts durchschnittlich rund 3.100 Euro pro Monat selbst zahlen. Davon entfallen allein 1.600 Euro auf die pflegerische Versorgung. Der Rest setzt sich aus Kosten für Unterkunft, Verpflegung, Ausbildung und Investitionen zusammen. Etwa ein Drittel aller Pflegebedürftigen in Heimen ist auf Sozialhilfe angewiesen, Tendenz steigend. Auch das, kein Wunder – sondern Politik.
Kapitalverbände und Wirtschaftsinstitute wollen den SPV-Leistungskatalog am liebsten komplett zusammenstreichen. Fordern etwa eine »Karenzzeit«; einen Zeitraum, in dem nach Antragstellung überhaupt keine Leistungen gewährt werden. Oder höhere Schwellenwerte zur Zuordnung der Pflegegrade bzw. gleich die Abschaffung von Pflegegrad 1. Dabei dient jener der Prävention. Die Folge: Wenn niemand mehr für sie einkauft, kocht, wäscht und putzt, oder es keinen Zuschuss mehr für eine barrierefreie Dusche gibt, verschlechtert sich der Zustand der Betroffenen. Mit entsprechenden Folgekosten für das Gesundheitswesen. Hinzu kommt: Immer mehr Angehörige würden Sorgearbeit leisten müssen. Unbezahlt. Erfahrungsgemäß Frauen, die dafür oft ihre Jobzeiten reduzieren – oder ganz aussteigen.
Der Befund: Pflegearmut ist gesundheitspolitisches Programm in der BRD. Auch die von Ressortchefin Nina Warken (CDU) eingesetzte Bund-Länder-Arbeitsgruppe »Zukunftspakt Pflege« wird daran nichts ändern – solange keine solidarische Pflegevollversicherung sämtliche Kosten übernimmt. Das hieße nämlich: Alle Einkommensarten heranziehen, auch Kapitalerträge. Wetten, dass da etwas dazwischenkommt?
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