Alles Humbug
Von Pierre Deason-Tomory
					Sebastian Fitzek, dem Leser wohl als Bestsellerautor bekannt, hat das fabelhafte Wesen des kommerziellen Rundfunks verstanden: Radio werde für die wenigen gemacht, die bei Telefonumfragen angerufen würden. Deswegen »beballert man die Leute draußen mit Plakaten, damit sie dich sehen und am Telefon sagen, dass sie dich hören«. Solche Strategien verriet Fitzek im Oktober im Zeit-Podcast »Alles gesagt?«, und mit »alles Humbug« hätte er das Reichweitenerhebungssystem der Branche auch zusammenfassen können. Der Gruseldichter weiß Bescheid, war als junger Mann Radiomanager, unter anderem bei 104.6 RTL in Berlin, einem Dudelfunkprototypen der Neunzigerjahre, bei dem ich auch mal angeheuert habe.
Ich musste Popschlager anmoderieren, die datenbasiert ausgewählt, also an lebenden Menschen »zu Tode getestet« (Fitzek) waren. So ein Sender ist ein automatisiertes Musikfreudenhaus und der DJ ein Stricher, der stur die Titelliste abarbeitet, weil er rausfliegt, wenn er etwas anderes spielt. Ich legte viel Phil Collins auf und Tina Turner, manche Schmachtfetzen zweimal in derselben Sendung. In meiner letzten verriegelte ich die Studiotür und startete »Interstellar Overdrive« von Pink Floyd. Einer der Senderapparatschiks (nicht Fitzek) scheiterte bei dem Versuch, das Studio zu stürmen, und so lief auf 104.6 RTL neun Minuten und 40 Sekunden lang Psychobeat mit Geräuschen. Das war nice.
Hier elf subjektiv ausgewählte Programmvorschläge für die Radiowoche: »Was bringen autonome Waffensysteme?« fragt Daphne Hruby in den »Dimensionen« etwas unbeholfen, ihr geht’s um die Folgen der Killer-KI-Rüstung (Di., 19.05 Uhr, Ö 1). Subversive Sinnverweigerung inszeniert Tom Heithoff im Hörspiel »Dummrumm«, indem er absichtslos herumsteht (Autorenproduktion 2018, Do., 22.05 Uhr, DLF Kultur). Karima dagegen verbirgt den Hinundwiderstand in einer leeren Schachtel, Emma Braslavsky nennt sie und ihr neues Stück »Die Nothing-Box« (BR 2025, Ursendung, Fr., nach 20.03 Uhr, Bayern 2).
Große Wohnboxen stehen seit 1974 im Karl-Marx-Städter Heckert-Gebiet, das sich immer wieder entwickelt. Genossen, hört also das Feature von Merle Hilbk über das »Leben im Chemnitzer Heckert« (MDR 2025, Ursendung, Sa., 9.04 Uhr, MDR Kultur). Oder das Hörspiel von Nina Meyer und Felix Engstfeld über »Dr. Dunning himself«, dem das künstliche Vergessen eingefallen ist (NDR 2025, Sa., 18.05 Uhr, NDR Kultur).
Im Anschluss kommt es im »WDR 3 Hörspiel-Kunstpalast« zum »Ko-ko-ko-ko-Kollaps« mit fortgesetzten Unterbibabrechungen von Helgard Hau-hau-Haug (WDR 2025, Sa., 19.04 Uhr). Danach senkt sich »Die Nacht des Hörspiels« über uns (Sa., 20.03 Uhr, Bayern 2, HR 2 Kultur, NDR Kultur, Radio 3, SR Kultur, SWR Kultur).
WDR 3 bringt die Oper »Partenope« von Luigi Mancia, 300 Jahre vergessen und erstmals aufgenommen im September im eigenen Funkhaus mit dem Orchestra Kairos und Kölner Studierenden (Sa., 20.03 Uhr). Kent Nagano und das Deutsche Symphonie-Orchester Berlin feiern live »20 Jahre Radio-3-Kinderkonzerte«, es gibt Mahlers 4. Sinfonie, »Das Wunderhorn«, und die Kurzen auf den Rängen singen mit (So., 12.05 Uhr).
Zuletzt noch fein erzählt in Hörspiel und Lesung: das Stück »Schlimme Zeiten« nach den Novellen »Die unsichtbare Sammlung« und »Buchmendel« von Stefan Zweig (Rundfunk der DDR 1986, So., 16.05 Uhr, Mo., 19.05 Uhr, Radio 3) und der vorerst letzte postum herausgegebene Roman von Sebastian Haffner, »Abschied«, in zehn Teilen gelesen von Sebastian Blomberg (Edel 2025, Mo., 8.30 Uhr, NDR Kultur).
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