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Von Helmut Höge
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Der Autor des Buches »Do it! Scenarios of the Revolution« und Mitgründer der Youth International Party, Jerry Rubin, war laut Wikipedia maßgeblich an der Störung der »Democratic National Convention 1968« in Chicago beteiligt. 1972 beantwortete er auf einer Veranstaltung die Frage, was erreicht worden sei: Im Laufe der Vietnam-Protestbewegung und mit all den Demonstrationen danach sei aus dem freundlichen Polizisten an der Ecke ein schwerbewaffneter Bulle geworfen. Das sei daraus geworden.

Ähnliches passierte auch in Westdeutschland seit 1968. Jerry Rubin meinte damals, dass wir andere Protestformen finden müssen. In Berlin finden inzwischen an manchen Tagen vier Demonstrationen statt – nicht selten von Protestgruppen, die von mehr Polizisten »begleitet« werden als die Demos Teilnehmer haben. Diese Polizisten sehen aus wie Robocops, handeln auf Befehle. Man kann nicht mit ihnen reden, sondern ihnen nur ausweichen, während die früheren Polizisten noch eigene Entscheidungen trafen, solche, die sie in einer gegebenen Situation für angemessen hielten.

Während einer 1.-Mai-Randale stand ich in der Nähe zweier bayerischer Polizisten, als der eine zum anderen sagte: »Wann geht das denn hier endlich los? Ich bin doch nicht nach Berlin gekommen, um mich an einer Kreuzung zu langweilen.« Er wollte prügeln, Demonstranten hetzen und festnehmen.

Es sind selbstverständlich nicht alle Polizisten so. Einer erzählte mir: »Na ja, es gibt schon viele Rechte unter uns. Sie gehen in die Muckibude, stählen sich und gucken Fernsehkrimis, weil die Kommissare für sie Role Models sind. Ansonsten lesen sie wohl wenig mehr als Bild oder die B. Z. Viele haben scharfe Bräute. Das verstehe ich allerdings nicht.«

Der Kreuzberger Mehringplatz ist ein »sozialer Brennpunkt«, weil dort manchmal irgendwelche Großfamilien aneinandergeraten. Am Wochenende hatte ein arabischer Jugendlicher sich ein paar laute Knaller besorgt, vielleicht aus Polen, und ließ es knallen. Ein paar Kinder baten ihn, noch einen und noch einen anzuzünden. Das führte dazu, dass irgend jemand die Polizei rief: »Hier wird geschossen«, woraufhin ein Trupp schwerbewaffnete Polizisten anrückte – laut Tagesspiegel vom 19.10. zu »einem Großeinsatz«, die Beamten waren »mit Helmen und Maschinengewehren bewaffnet«. Sie wollten nicht nur gefährlich, unmenschlich aussehen, sondern auch etwas tun und also räumten sie erst einmal den ganzen Platz. Sie konnten jedoch »keinen Verdächtigen am Ort feststellen« bedauerte der Tagesspiegel.

Ich trinke dort mittags oft einen Kaffee. Auch beim letzten Mal knallte der Jugendliche mit seiner Kinderschar auf dem Platz rum. Wie zuvor kümmerte sich kein Mensch darum – soll er doch knallen, bis seine scheiß Pyrotechnik alle ist. Selbst die Tauben flogen nur beim ersten Knall auf, danach ließen sie sich nicht mehr durch den Lärm von ihrem Körnerhaufen, den ihnen jemand hingeschmissen hatte, verscheuchen. Die behelmten Maschinengewehrschützen rückten nicht noch einmal an.

Der Tagesspiegel hatte im Sommer 2024 geschrieben: »Am Mehringplatz in Berlin-Kreuzberg grassieren Jugend- und Drogenkriminalität, Vandalismus sowie gewalttätige Auseinandersetzungen. Auch von Schutzgelderpressung wird erzählt.« Obwohl die Polizei Kontrollen durchführt, habe »sich die Lage im Kiez um den Mehringplatz nicht gebessert«. Sie sollte aber »nicht auf den ersten Toten warten«, so die Überschrift, deswegen wird eine Videoüberwachung für den Platz gefordert. »Der Bezirk will einige Maßnahmen ergreifen und die Polizei stärker durchgreifen.« Die Bezirksbürgermeisterin – eine Grüne – hat jedoch laut Tagesspiegel »den Ernst der Lage noch nicht erkannt«.

Ähnliches schreiben auch die anderen Berliner Dumpfmedien. Der RBB24: »Seit Jahren ist die Lage dort prekär.« Die Morgenpost: »Mehringplatz: Warum Julia nachts nicht mehr rausgeht.« Die B. Z. in einem Ranking: »Das sind Berlins gefährlichste Orte«. Im August 2025 hatte ein anderer oder derselbe Jugendliche schon mal mit Polenböllern experimentiert – mit demselben Ergebnis wie am Wochenende: »Mehringplatz: Angeblich Schüsse – Polizei im Großeinsatz« titelte die B. Z.

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