Streik gegen Nullangebot
Von Susanne Knütter
					Die Streikbereitschaft sei groß, niemand musste lang überzeugt werden, sagte der Gewerkschafter Sebastian Riesner am Montag bei der Streikkundgebung vor der Coca-Cola-Zentrale in Berlin. Vor zwei Wochen hatte eine bundesweite Warnstreikwelle bei Coca-Cola begonnen. Im brandenburgischen Genshagen, wo knapp 200 Beschäftigte die Getränke von Coca-Cola abfüllen, lief nichts mehr, so Jürgen Uffelmann vom Gesamtbetriebsrat gegenüber jW. Ähnlich sah es in den westdeutschen Städten Achim, Hildesheim, Mölln, Lüneburg, Urbach und Deizisau aus. In der letzten Woche folgten die Kollegen in Bad Neuenahr-Ahrweiler, Memmingen, Fürstenfeldbruck, Halle, Weimar, Knetzgau, Mannheim, Dorsten, Herten, Mönchengladbach, Mainz und Mörfelden-Walldorf.
Nur auf den zweistündigen Streik in Berlin wollte am Montag nicht so ganz zutreffen, was der Geschäftsführer der NGG-Region Berlin-Brandenburg über die Kampfbereitschaft der Kollegen gesagt hatte. An die 30 Beschäftigte hatten sich vor der Deutschland-Zentrale versammelt, wo etwa 400 Angestellte arbeiten und der noch einmal gut 300 Beschäftigte des Außendienstes zugeordnet sind, zum Beispiel Verkäufer in Mecklenburg-Vorpommern und Nordrhein-Westfalen. Der Grund sei, dass in der Verwaltung viele außertariflich beschäftigt sind. Diejenigen, die das betrifft, bekämen ein »vermeintlich höheres Gehalt, als der Tarifvertrag vorsieht«, sagte Riesner im Gespräch mit jW. Das relativiere sich zwar, wenn man zum Beispiel das im Tarifvertrag geregelte Urlaubs- und Weihnachtsgeld berücksichtige. Außerdem arbeiteten die Außertariflichen in der Regel auch entsprechend viel. Dennoch werde ihnen dadurch vermittelt, sie seien »was Besseres«, so Riesner.
Gering ist bisher ansonsten das Tarifangebot des Getränkeherstellers. Ginge es nach Coca-Cola, bekämen die Beschäftigten aller deutschen Standorte für das Jahr 2025 keine Lohnerhöhung und 2026 lediglich 1,5 Prozent mehr. Die Auszubildenden sollen komplett leer ausgehen. Ein Argument des Managements: In diesem Jahr gab es bereits eine Erhöhung. Die gab es allerdings nur, weil die NGG in der vergangenen Tarifrunde einer zweistufigen Erhöhung zugestimmt hatte. Ein Zugeständnis unter der Bedingung, dass die Erhöhung 2025 mit der folgenden, also dieser Tarifrunde, nicht verrechnet werde. Genau das versucht der Braune-Brause-Konzern aber jetzt.
Mit Zugeständnissen haben die Beschäftigten bereits ihre Erfahrung gemacht. 2006 und 2010 hatte die NGG im Rahmen von Beschäftigungssicherungsverträgen zum Beispiel der Möglichkeit zur Ausweitung der Wochenarbeitszeiten und Einmalzahlungen statt Tariferhöhungen zugestimmt. Erst seit ein paar Jahren sei die tarifliche Entwicklung okay und mittlerweile wieder auf Brauereiniveau, sagte Gesamtbetriebsrat Uffelmann. »Aber das, was die Leute bekommen, entspricht nicht dem, was sie leisten.« Mit 6.300 Beschäftigten bundesweit werde heute mehr Volumen abgefüllt als 2010, als bei Coca-Cola in Deutschland noch 11.000 Leute gearbeitet haben.
Dabei ist nicht nur die Produktivität infolge neuer Abfüllanlagen gestiegen, sondern auch die Arbeitsverdichtung. Heut müssen acht Servicetechniker, die etwa Einbau, Wartung und Reparaturen von Kühlautomaten und Zapfanlagen übernehmen, schaffen, was früher 16 gemacht haben. Ohne Überstunden geht das nicht, wie einer der Techniker im Gespräch mit jW sagte. Auch Verkaufsberater müssten riesige Flächen abarbeiten. Auf einen Verkäufer im Außer-Haus-Markt, wozu Restaurants und Cafés gehören, kämen 300 bis 350 Kunden. Pro Kundebesuch hätte sie 20 Minuten, sagte eine Verkaufsberaterin gegenüber jW. Das sei viel zuwenig Zeit, besonders für Neukunden. Route und Fahrtzeit sind vorgegeben. Stau werde in der Planung nicht berücksichtigt. Hinzu kämen Tracking und das Dokumentieren, was man wann wie wo gemacht hat. »Coca-Cola ist ein Aktiengesellschaft. Der Profit steht über allem«, so die Kollegin. »Aber die umsetzende Abteilung wird nicht berücksichtigt.«
Im Alltag spiegelt sich das in hohen Krankenständen und Druckaufbau wider. So werde auf Betriebsversammlungen thematisiert, »wieviel und was wo wieder nicht verkauft worden ist«, erläuterte Anne Boddeutsch-Rose, Betriebsrätin in der Hauptverwaltung, gegenüber jW. In Wirklichkeit aber fehle es an einer Strategie. Ein Produkt werde auf den Markt geworfen, und wenn es nicht das erwartete Ergebnis bringe, werde der Druck nach unten abgewälzt.
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