Vortrag mit Auflagen
Von Jakob Reimann
					Trotz aller Bemühungen im Vorfeld, sie platzen zu lassen, fand die Veranstaltung mit Helga Baumgarten wie geplant statt: Am 27. Oktober 2025 stellte die Politikwissenschaftlerin und jW-Autorin an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg unter dem Titel »Völkermord in Gaza« ihr gleichnamiges Buch vor und warf Schlaglichter auf den Krieg in Gaza und die Siedlungspolitik im Westjordanland. Aufgrund ihrer ablehnenden Haltung zur israelischen Politik gegenüber den Palästinensern wurde die Referentin zumeist von rechten Akteuren, die die Absage des Vortrags erwirken wollten, mit dem Vorwurf des Antisemitismus belegt. Dies betrachte sie »als üble Verleumdung«, so Baumgarten am Donnerstag gegenüber jW.
Die per Video zugeschaltete Referentin berichtete über das »Gazatribunal«, eine zivilgesellschaftliche Anhörungsreihe zur Mittäterschaft der britischen Regierung beim Krieg gegen Gaza. Außerdem untersuchte Baumgarten schwere Vorwürfe gegen die Netanjahu-Regierung und die israelischen Streitkräfte, so die Veranstalterin Claudia Wittig gegenüber jW, und diskutierte »die völkerrechtswidrige Besetzung des Westjordanlandes«. Dass dabei »deutliche Kritik an israelischer Politik geäußert wurde«, liege in der Natur der Sache, sagte Wittig. Auf Nachfragen etwa zum »Existenzrecht Israels« und zur Rolle der Bundesrepublik sei sie sachlich eingegangen, sie habe die Probleme der Zweistaatenlösung sowie auch die Möglichkeit eines gemeinsamen Staates erläutert, »in dem alle Religionen und Gruppen gleichberechtigt leben«. »Wie irgend etwas davon als antisemitisch verstanden werden kann, ist mir ehrlich gesagt ein Rätsel«, so Wittig.
Im Vorfeld hatte Rektorin Claudia Becker den Veranstaltern einen umfassenden Katalog mit Auflagen für die Veranstaltung übermittelt, der jW vorliegt. Demnach dürfe weder »das Existenzrecht Israels« in Frage gestellt noch die Hamas »glorifiziert« werden. Doch auch eine inhaltliche Aufsicht wurde zur Bedingung gestellt: Die Ausführungen der Referentin sollten von einer außenstehenden, fachlich kompetenten Person kommentiert sowie abschließend »der Gazakrieg und die Lage im Israel-Palästina-Konflikt« eingeordnet werden. Derartige Auflagen seien laut Wittig »mit der Wissenschaftsfreiheit unvereinbar«. Daher habe sie die Bedingungen »im Vorfeld klar abgelehnt«. Für die Rektorin der Uni hätten die getroffenen Vorkehrungen hingegen nicht ausgereicht, berichtete dpa. Sie spreche mittlerweile von einem »Fehler«, dass sie die Veranstaltung zugelassen habe. An der Universität Halle sei »kein Platz für Veranstaltungen, die einseitig, unwissenschaftlich und gesellschaftlich polarisierend sind«.
Der Studierendenrat kritisierte im Vorfeld die Einladung von Baumgarten und forderte mehrheitlich mit 14 zu sechs Stimmen die Absage der Veranstaltung, heißt es auf dessen Website. Als Grund wird Baumgartens vermeintlich »verharmlosende« Haltung zur Hamas aufgeführt. Politisch stellten sich die FDP und ihre Nachwuchsorganisation Junge Liberale Sachsen-Anhalt (Juli) an die Spitze der Diffamierung: Baumgarten solle »ihren, wenn auch nicht wohlverdienten, Ruhestand genießen«, ätzten die Jungliberalen, »und ihre geschichtsvergessenen Hetzereien der heimischen Stofftiersammlung vorbeten«. Neben den Julis warf auch der hochschulpolitische Sprecher der FDP im Landtag, Konstantin Pott, der Autorin »antisemitische Propaganda« vor. Auf jW-Nachfrage erklärte der Juli-Landesvorsitzende Moritz Eichelmann, Baumgartens Aussagen, wonach es keine Beweise gebe, »dass (Massen-)Vergewaltigungen am 7. Oktober 2023 durch die Hamas stattgefunden hätten«, sowie eine fehlende historische Einordnung und das vermeintliche Verdrehen von Tatsachen seien »nichts anderes als antisemitische Propaganda«. Und: Baumgarten »schnitt Verschwörungstheorien rund um die ›jüdische Weltregierung‹ mehrfach an«, so Eichelmann weiter.
Diese Behauptung sei »völlig realitätsfern«, berichtete eine beim Vortrag anwesende Person der »Students for Palestine« jW. Auch Baumgarten weist dies kategorisch zurück. Sie habe so etwas »natürlich nie auch nur ansatzweise gesagt«. Universitäten sollten Orte des akademischen Austauschs sein. Wie man hingegen »ausgewogen über einen Völkermord berichten soll, ist mir schleierhaft«.
Tageszeitung junge Welt am Kiosk
Die besonderen Berichterstattung der Tageszeitung junge Welt ist immer wieder interessant und von hohem Nutzwert für ihre Leserinnen und Leser. Eine gesicherte Verbreitung wollen wir so gut es geht gewährleisten: Digital, aber auch gedruckt. Deswegen liegt in vielen tausend Einzelhandelsgeschäften die Zeitung aus. Überzeugen Sie sich einmal von der Qualität der Printausgabe.
links & bündig gegen rechte Bünde
Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.
- 
Leserbrief von Onlineabonnent/in Joachim Seider aus Berlin (1. November 2025 um 19:08 Uhr)»Wer nicht hören will, muss fühlen«, sagt ein deutsches Sprichwort. Wenn die Oberen der BRD und ihre Satrapen die Schreie der Opfer in Palästina nicht hören wollen, werden sie ziemlich bald fühlen müssen, dass das beileibe nicht der Wahrnehmung der Mehrheit der Menschen dieser Erde entspricht. Natürlich kann sich deutsche Politik der Verachtung der Mehrzahl der Völker ganz gezielt aussetzen. Ob das der weiteren Entwicklung Deutschlands wirklich dienlich sein wird, darf man bezweifeln. Den aktuell Regierenden im Lande ist es offensichtlich herzlich egal, dass sie längst nicht mehr zu den Lebensbedürfnissen unseres Volkes passen.
- Antworten
 
 
Ähnliche:
Bassem A.09.09.2025Der Bumerang der Barbarei
Hochschulpressestelle30.07.2025»Die Gewalt haben wir uns nicht ausgesucht«
IMAGO/Newscom World22.07.2024Rufmord gegen Protest
Mehr aus: Inland
- 
			
Welche Bedeutung hat sie für linke Gegenöffentlichkeit?
vom 01.11.2025 - 
			
Warum sollte man hier einen Stand anmelden?
vom 01.11.2025 - 
			
»Nur Hilfsgüter und Helme«
vom 01.11.2025 - 
			
Stillstand schönreden
vom 01.11.2025 - 
			
Mitbestimmung unerwünscht
vom 01.11.2025