»Die Gewalt haben wir uns nicht ausgesucht«
Interview: Marc Bebenroth
Die Kunsthochschule Burg Giebichenstein in Halle hat wegen »übler Nachrede und falscher Tatsachenbehauptungen« Strafanzeige gegen das »Bündnis gegen Antisemitismus« gestellt. Was wurde behauptet?
Bei der Jahresausstellung wurde ein Relief gezeigt. Eine 2023 entstandene, explizit abstrakte Arbeit. Für die Ausstellung wurde, weil der Person wichtig war, sich mit den Menschen in Palästina zu solidarisieren, eine Palästinafahne über das Werk gesprüht. Der besagte Verein hat von einer »Judensau«-Darstellung gesprochen. Dozenten haben den Arbeitsprozess aber begleitet und bestätigen, dass es nichts mit irgendwelchen figurativen Darstellungen zu tun hat.
Fotos zeigen die abstrakte Form. Hat irgendwer bei Ihnen darin etwas Antisemitisches gesehen?
Das hat niemand sonst so interpretiert. Es ist absurd, das zu tun. Das mit dem Schweinekopf ist einfach Diffamierung.
Wie überraschend kam die Empörung in den Medien für Sie?
Die Berichterstattung in Deutschland versucht immer wieder, Menschen wie uns mit solchen absurden Vorwürfen in ein schlechtes Licht zu rücken. Egal wie und wo an den Universitäten in Deutschland Protest stattfindet: Es wird immer über diese Antisemitismusvorwürfe geredet, aber nie darüber, warum Studenten sich so einem Risiko aussetzen.
Welches Risiko meinen Sie?
Die Gewalt, die wir erleben. Die haben wir uns nicht ausgesucht. Wir wollen das Privileg, an einer Kunsthochschule zu studieren, nutzen. Bei den Jahresausstellungen haben sich viele Studierende mit Palästina solidarisiert. Sie haben auch erklärt, dass Kunst nicht neutral ist, dass Kunstschaffende die Pflicht haben, sich angesichts von Unrecht zu äußern. Generell ist uns wichtig, dass wir mit anderen Menschen ins Gespräch kommen. Wir machen Veranstaltungen, damit man über die Realität in Palästina spricht, und wir sind bereit, immer wieder Informationen bereitzustellen, egal an welchem Punkt des Wissens jemand gerade ist.
Wie schaffen Sie es, nach beinahe zwei Jahren genozidaler Gewalt durch die israelische Armee bei der hiesigen politischen Debatte darüber noch Diskussionen zu führen?
Ich verstehe Betroffene, die nicht mehr die Kraft haben, während ihre Familien ermordet und systematisch ausgehungert werden, erklären zu müssen, dass sie auch Menschen sind. Viele bemühen sich immer wieder, damit sich etwas ändert und vor allem Personen, die in Deutschland sozialisiert sind, aufgeklärt werden – über die Nakba, über Menschenrechtsverletzungen seit 78 Jahren in Palästina. Aber gerade in einer Stadt wie Halle herrscht ein sehr unfreundliches Klima.
Während der Jahresausstellung im vergangenen Jahr wurde einem Besucher laut Hochschule dessen Kufija »gewaltsam entrissen« und er per »Faustschlag ins Gesicht« zu Boden gebracht. Von wem geht in Halle diese Aggression aus?
Es gibt Vereine und sehr proisraelische Strukturen, die absolut jede Kritik an Israel mit Antisemitismus gleichsetzen sowie extrem gewaltbereit sind. Eine Gruppe ist die, die jetzt den Vorwurf mit dem Schweinekopf gebracht hat. Sie geben in einem Statement zum Angriff im Grunde zu, dass sie das waren, stellen sich zugleich aber als Opfer dar. Man wird wirklich oft angegriffen in der Stadt. Menschen mit einem Zittern im Gesicht schreien dich an und werden gewalttätig. Bei vielen Infoständen wurden wir angegriffen, mit Sachen beworfen und bespuckt oder gar nach Hause verfolgt.
Die Hochschulleitung regt die Gründung eines Ethikrats an, um eine »sachliche« Auseinandersetzung und »öffentliche Kritik« zu ermöglichen. Was bringt das den Studierenden?
Es ist zu befürchten, dass so etwas genutzt werden kann, um Kunstfreiheit einzuschränken. Was uns wirklich Sicherheit geben würde: Wenn die Hochschulleitung sich tatsächlich gegen den Völkermord ausspricht und dadurch auch normalisieren würde, dass die Studierendenschaft das bereits tut. Es ist aber beinahe schon absurd geworden, in Deutschland zu erwarten, dass eine Institution wie eine Hochschule diesen Mut hat.
Ossip R. studiert an der Kunsthochschule Halle und engagiert sich dort in mit Palästina solidarischen Zusammenschlüssen
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