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Aus: Ausgabe vom 22.10.2025, Seite 14 / Feuilleton

Rotlicht: Inquisition

Von Ronald Weber
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Berühmtes Opfer der Inquisition: Jeanne d’Arc bei ihrer Befragung durch den Kardinal von Winchester (Gemälde von Paul Delaroche, 1824)

Im 12. Jahrhundert entwickelten sich in Europa häretische Bewegungen, die die Autorität der römisch-katholischen Kirche in Frage stellten. Albigenser, Katharer und andere Glaubensrichtungen breiteten sich aus und fanden auch bei manchen Fürsten Unterstützung. Daher sah sich die Kirche zum Handeln veranlasst. Wie aber sollte man feststellen, ob ein Verdächtiger schuldig war? Sogenannte Gottesurteile hatten sich als wenig hilfreich erwiesen (etwa die Feuerprobe, bei der ein Angeklagter ein heißes Eisen berühren musste; verheilte die Wunde, war die Unschuld erwiesen). Die Kirche etablierte daher ein anderes Verfahren: die Inquisition.

Papst Innozenz III. verschärfte Ende des 12. Jahrhunderts die Strafen für Häresie. Analog zum Verbrechen der Majestätsbeleidigung stand fortan auf den Abfall vom rechten Glauben die Todesstrafe, die nach einem Abkommen mit Kaiser Friedrich II. durch die weltliche Autorität vollstreckt wurde. Mit der Dekretale »Qualiter et Quando« führte Innozenz III. 1206 das Verfahren der Inquisition (von lateinisch inquire – nachforschen, untersuchen) ein. Zuvor fand beim Vorgehen gegen Häretiker das sogenannte Akkusationsverfahren Anwendung, das zwingend die private Anklage (lateinisch: accusatio) eines Geschädigten vorsah. Es hatte sich beim Vorgehen gegen Abtrünnige aufgrund innerkirchlicher Hierarchien als wenig hilfreich erwiesen, zumal Klägern im Falle der Nichtüberführung des Beklagten selbst Strafen drohten.

Das neue Verfahren erlaubte das Vorgehen von Amts wegen. Das war zwar auch zuvor schon möglich gewesen, aber Beschuldigte konnten sich mittels eines Reinigungseides leicht aus der Affäre ziehen. Die Möglichkeit des Eides wurde nun eingeschränkt. Kam das Gerücht der Häresie auf, musste fortan ein Inquisitor eingesetzt werden, der Ankläger und Richter in einer Person war. Er hörte Zeugen an, deren Aussagen schriftlich festgehalten wurden. Ziel des Verfahrens, bei dem Indizien keine Rolle spielten, war die Aufdeckung der »Wahrheit« durch den Angeklagten. Verweigerte dieser das Geständnis, kam die Folter zur Anwendung, die durch Papst Innozenz IV. mit der Dekretale »Ad Extirpanda« 1252 als Bestandteil des Inquisitionsverfahrens festgeschrieben wurde. Die Strafen reichten von leichten, zur Buße gedachten Maßnahmen wie Wallfahrten nach Jerusalem sowie dem Tragen eines Ketzerkreuzes über Hausarrest und Kerkerhaft bis hin zur Todesstrafe durch Verbrennung.

Wie oft die Todesstrafe ausgesprochen und vollstreckt wurde, lässt sich aufgrund der mangelhaften Quellenlage und der räumlichen Ausdehnung nicht seriös angeben. Historiker gehen heute eher von einer niedrigen fünfstelligen Zahl aus. Oft wird auch die sogenannte Hexenverfolgung vom 15. bis zum 18. Jahrhundert, der mehr als 60.000 Frauen zum Opfer fielen, der Inquisition zugeschrieben, was aber insofern falsch ist, als sie vor allem durch weltliche Gerichte und auch in protestantischen Gebieten praktiziert wurde.

Die Inquisition war keine Behörde oder staatliche Institution wie später, Ende des 15. und zu Beginn des 16. Jahrhunderts, in Spanien, Portugal und im Kirchenstaat (wo sie bis 1965 existierte). Sie wurde auch regional höchst unterschiedlich gehandhabt. So gab es in Frankreich eigene Inquisitionsbezirke mit großen Mitarbeiterstäben, zumeist betrieben durch den Dominikanerorden. Anderenorts arbeiteten Inquisitoren eher auf Zuruf und reisten von Ort zu Ort.

Mit der Reformation, die die etablierte Art der Häretikerverfolgung überforderte, verschwand die katholische Inquisition aus Deutschland, nicht aber das Inquisitionsverfahren, das sich als gängige Praxis des weltlichen Strafprozesses etablierte und mit der Peinlichen Halsgerichtsordnung Karls V. 1532 Bestandteil des offiziellen Reichsrechts wurde. Erst die napoleonische Besatzung setzte dem Inquisitionsprozess schließlich ein Ende.

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