»Es gab keine Hilfeleistungen für uns«
Interview: Ignacio Rosaslanda
Sie haben mit der »Global Sumud Flotilla« versucht, den von Israel blockierten Gazastreifen zu erreichen. Wieso haben Sie sich dazu entschieden, diese Reise zu machen?
Das hatte viel mit der Frustration zu tun, hier in Deutschland irgendwie Teil eines Systems zu sein, das den Genozid in Gaza ermöglicht. Deutschland ist der zweitgrößte Exporteur von Waffen, die von Israel gegen das palästinensische Volk eingesetzt wurden.
Seit 2008 bin ich in der Palästina-Bewegung aktiv. Meine Rolle darin war für mich nicht konstruktiv genug und ich wollte, dass mehr passiert. Und da gab es mit der aus dem globalen Süden organisierten »Global Sumud Flotilla« einen ganz anderen Ansatz. Ich wurde gefragt, ob ich mitsegeln möchte, da habe ich ja gesagt.
Die Flottille wurde aber zwischen dem 1. und 3. Oktober von der israelischen Marine abgefangen – in internationalen Gewässern. Wie lief das ab?
Gegen zwei Uhr morgens am Donnerstag wurden wir angegriffen. Es gab, nachdem die Führungsboote abgefangen wurden, keine Kommunikation mehr, sondern nur die Durchsagen des israelischen Militärs. Per Funk hatte eine Person mit starkem US-amerikanischen Akzent behauptet, unsere Aktion sei illegal. Wir haben immer wieder geantwortet, dass die Boote in internationalen Gewässern sind und dass das Ziel, Hilfsgüter zu liefern, von internationalem Recht gedeckt ist. Kein Teil der Mission war rechtlich fragwürdig. Das Abfangen war ziemlich gewaltsam und gleichzeitig unkoordiniert. Wir hatten unsere Schwimmwesten an, die Hände erhoben. Dann kamen sie an Bord, haben die Waffen auf uns gerichtet und die Steuerung des Boots übernommen.
Vom israelischen Hafen von Aschdod wurdet ihr dann in ein Gefängnis in der Wüste gebracht. Was haben Sie dort gesehen?
In unseren Zellen in diesem Foltergefängnis in der Negev-Wüste waren ja, bis wir ankamen, palästinensische Gefangene inhaftiert. An den Zellwänden hatten sie Nachrichten hinterlassen. Sie baten darum, ihre Familien zu kontaktieren und sie darüber zu informieren, dass sie am 28.9. woandershin verschleppt werden und dass sie nicht wissen, warum. Das ist der gleiche Tag gewesen, an dem in Israel das Gesetz über die Todesstrafe für palästinensische Inhaftierte verabschiedet wurde – was sehr erschreckend war. Zuvor wurden wir im Hafen bestimmt 15mal aufgefordert, eine Art Geständnis zu unterschreiben und zuzugeben, Israel illegal betreten zu haben. Dabei wurden wir gegen unseren Willen verschleppt und dorthin gebracht.
Wie lief die Kommunikation mit den deutschen Behörden?
Der deutsche Konsul kam für ein paar Minuten in den Besucherbereich. Er hat alle Misshandlungen dokumentiert. Er sagte auch, er werde die Notfallkontakte, also unsere Familien und Freundinnen, informieren. Und dann behauptet der Sprecher des Auswärtigen Amtes, keine Informationen zu Misshandlungen zu haben. Meiner Meinung nach scheint er gelogen zu haben. Denn es muss eine Kommunikation gegeben haben zwischen der deutschen Botschaft in Israel und dem Auswärtigen Amt. Der Konsul war ja bei uns und hat die Misshandlungen dokumentiert.
Wie ging es dann weiter?
Am Flughafen in Eilat, von wo wir dann nach Griechenland geflogen sind, hatten sich verschiedene Botschaftsvertreter positioniert, die Schilder hochhielten: Norwegen oder Irland oder Schweden. Nur eine Person stand versteckt zwischen den anderen und fragte dann: »Seid ihr aus Deutschland? Ihr werdet in Athen empfangen.« Wir fragten: »Kümmert ihr euch um Unterkunft? Wo fliegen wir überhaupt hin?« Wir hatten bis zu jenem Zeitpunkt keine Information darüber, wie es weitergeht, wie wir nach Hause kommen, wer mit wem kommuniziert hat, was gerade in der Welt passiert. Es gab keine Information dazu. In Athen warteten vier Leute von der deutschen Botschaft. Die haben uns dann verkündet, dass sie uns Hilfe zur Selbsthilfe anbieten. Dann haben sie uns ein Merkblatt gegeben mit Anleitungen, wie Familienangehörige uns Geld schicken können. Das war alles. Es gab einfach keine Hilfeleistungen für uns.
Louna Sbou ist Kuratorin und Kulturmanagerin und leitet das Kulturzentrum Oyoun in Berlin-Neukölln
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