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Aus: Ausgabe vom 18.10.2025, Seite 5 / Inland
Globaler Wirtschaftskrieg

Diagnose Sanktionitis

Chipfabrikant Nexperia warnt vor Lieferausfällen. US-Handelsdiktat stellt deutsche Autobranche vor zusätzliche Probleme
Von Klaus Fischer
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Der Hersteller elektronischer Schaltkreise Nexperia hat Lieferprobleme (Produktionsstätte in Hamburg)

Donald Trumps globale Handelspolitik trägt Früchte. Und es sind keine bekömmlichen. Als der Hersteller elektronischer Schaltkreise Nexperia am 10. Oktober ankündigte, dass er seine Lieferverpflichtungen nicht mehr garantieren könne, erwischte dies vor allem die Autobranche auf dem falschen Fuß.

Nexperia ist ein Kind der seit mehr als 30 Jahren forcierten internationale Arbeitsteilung (Globalisierung), gehörte bisher dem chinesischen Konzern Wingtech und hat seinen Sitz in der »Steueroase« Niederlande. In Hamburg gibt es einen Produktionsstandort mit 2.500 Beschäftigten. Hauptprodukt sind Steuerchips, die vor allem in Automobile eingebaut werden und essentiell für das Endprodukt sind. Ein Lieferengpass – oder gar eine Lieferunterbrechung – würde Zulieferer und Hersteller ins Mark treffen. Nach dem in (West-)Europa agierenden Verband ACEA warnte nun auch die US-Autolobby vor Störungen der Produktion.

»Wir befinden uns plötzlich in dieser alarmierenden Lage«, zitierte Reuters am Freitag ACEA-Generaldirektorin Sigrid de Vries. »Wir brauchen wirklich schnelle und pragmatische Lösungen von allen beteiligten Ländern.« Es klang ein wenig hilflos. Auch die (US-)Alliance for Automotive Innovation, meldete sich: Wenn die Chiplieferung »nicht schnell wiederaufgenommen wird, wird dies die Autoproduktion in den USA und vielen anderen Ländern stören und einen Dominoeffekt auf andere Branchen haben«, so Verbandschef John Bozzella laut Reuters. Bozella könnte ja ein Protestschreiben an Trump senden. Denn die Diagnose für die eskalierende Krise lautet schlicht: Sanktionitis.

Die Globalisierung, vor allem von US-Konzernen vorangetrieben, galt als Antwort auf die Herausforderungen des kapitalistischen Verwertungssystems nach dem kalten Krieg. Sogenannte Schwellenländer mit einer bereits entwickelten industriellen Basis und einem adäquaten Arbeitskräftepotential, dessen Wert der Ware Arbeitskraft (im Westen Lohnniveau genannt) deutlich niedriger lag als in den damaligen kapitalistischen Hauptstaaten, wurden durch Verträge und gezielte Investitionen zum Zulieferer aufgebaut. Beide Seiten profitierten.

Nicht geplant war, dass die »sich entwickelnden Märkte«, besonders aber die chinesische Industrie, zu einem wirtschaftlichen Machtfaktor von Weltrang wandelten. Zunächst auf Textilien und Massenwaren beschränkt, war das 1,4-Milliarden-Einwohner-Land Anfang der 2020er Jahre zu Weltindustriemacht Nummer eins herangewachsen und hatte in der kaufkraftbereinigten Wirtschaftsleistung auch die US-Wirtschaft klar überholt.

Die US-Strippenzieher reagierten spät – und aggressiv. Sanktionen, Spionageverdächtigungen und Zerstörung der Unternehmensstrukturen chinesischer Konzerne auf US-Territorium – wie die Übergriffe auf Huawei oder der seit Jahren forcierte Zwangsverkauf von Tik Tok an US-»Investoren« – sind nur die bekanntesten Attacken. Nahezu täglich folgen Meldungen dieser Art. Auch Wingtech steht auf einer Sanktionsliste. Die niederländische Regierung reagierte eilfertig, zwangsverstaatlichte das Unternehmen praktisch.

Neben der Zollkeule sorgt »Make America Great Again« also für permanente Eskalation. China reagiert flexibel. Obwohl stark an US-Exporten interessiert, kann Beijing die Übergriffe nicht permanent hinnehmen. Anfang Oktober verbot das Handelsministerium den Export bestimmter Bauteile mit Nexperia-Chips. Das betrifft Wingtech zufolge 80 Prozent der Endprodukte. Vor allem der BRD-Autobranche stehen nun – neben der längst beschlossenen höheren »Luftsteuer« (CO2-Abgabe) weitere Schockmomente bevor.

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