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Aus: Ausgabe vom 18.10.2025, Seite 6 / Ausland
Kenia

Symbol der Demokratie

Kenia: Mit Raila Odinga ist einer der prägenden Politiker des ostafrikanischen Landes verstorben
Von Sven Kurz
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Der verstorbene Raila Odinga galt vielen Kenianern als Anwalt ihrer sozialen Interessen (Nairobi, 16.10.2025)

Der langjährige kenianische Oppositionsführer und ehemalige Ministerpräsident Raila Amollo Odinga ist tot. Der 80jährige starb am 15. Oktober 2025 in einem Krankenhaus im indischen Kerala an Herzversagen. Odinga war eine der prägendsten politischen Figuren Kenias. Sein Tod löste landesweit Trauer aus – Menschen strömten zu Tausenden auf die Straßen, in sozialen Medien überschlugen sich die Beileidsbekundungen. Bei den emotional aufgeladenen Gedenkfeierlichkeiten kam es Donnerstag zu tragischen Zwischenfällen, als die Polizei Schüsse abgab und mindestens vier Trauernde tötete.

Als Sohn des ersten Vizepräsidenten Kenias, Jaramogi Oginga Odinga, wuchs Raila in einer politisch einflussreichen Familie auf. 1962 ging er in die DDR, lernte am Leipziger Herder-Institut Deutsch und studierte bis 1970 an der Technischen Hochschule Magdeburg Maschinenbau. Ab 1974 arbeitete er beim Kenya Bureau of Standards, wo er bis zu seiner Verhaftung 1982 zum stellvertretenden Direktor aufstieg.

Odinga wurde zur Symbolfigur im Kampf für ein demokratisches Mehrparteiensystem in Kenia. Nach seiner Haft unter dem Moi-Regime und dem Exil in Norwegen kehrte er 1992 zurück und engagierte sich im Demokratisierungsprozess. Seine politische Laufbahn war von strategischen Parteiwechseln und Bündnissen geprägt, die ihm oft Kritik einbrachten. Von 2008 bis 2013 diente er als Ministerpräsident in einer Koalitionsregierung nach den gewaltsamen Unruhen nach der Präsidentenwahl 2007. Seine gescheiterten Präsidentschaftskandidaturen in den Jahren 1997, 2007, 2013, 2017 und zuletzt 2022 waren stets von Vorwürfen der Wahlmanipulation begleitet. Die Misshandlungen während seiner Inhaftierung hinterließen dauerhafte gesundheitliche Schäden, darunter Probleme mit seinen Augen. Trotz dieser persönlichen Kosten beharrte er auf demokratischen Prozessen und prägte Kenias politische Landschaft nachhaltig.

Odingas politische Positionierung veränderte sich im Laufe seiner Karriere. Nach seinem Studium in der DDR zunächst als Anhänger sozialistischer Ideen bekannt, vertrat er später zunehmend kapitalistische Prinzipien. Diese Veränderung brachte ihm Kritik aus verschiedenen Lagern ein. Besonders auffällig war der Widerspruch zwischen seiner Rolle als selbsterklärter Vertreter der Armen und Unterdrückten und seinem beträchtlichen persönlichen Vermögen, das laut der Presseagentur Marcopolis auf etwa 250 Millionen US-Dollar geschätzt wurde. Trotz dieser Diskrepanz blieb Odinga für viele Kenianer aus ärmeren Schichten und seiner Luo-Heimatethnie Symbol des Widerstands gegen Korruption und autoritäre Herrschaft.

In seinen letzten Jahren weitete Odinga seinen Einfluss auf die kontinentale Bühne aus. Von 2018 bis 2023 diente er als Hoher Repräsentant der Afrikanischen Union (AU) für Infrastrukturentwicklung. Seine letzte große internationale Ambition war die Kandidatur für den Vorsitz der AU-Kommission Anfang 2025, bei der er jedoch dem Bewerber aus Dschibuti unterlag – eine Niederlage, die nur wenige Monate vor seinem Tod sein politisches Wirken auf internationaler Ebene beendete.

Mit Odinga verliert Kenia eine zen­trale Figur seiner jüngeren Geschichte. Sein Erbe bleibt ambivalent: für Anhänger ein unbeugsamer Demokratiekämpfer, für Kritiker ein widersprüchlicher Politiker, dessen sozialistische Rhetorik im Kontrast zu seinem Wohlstand stand. Unbestritten bleibt sein nachhaltiger Einfluss auf Kenias Entwicklung vom Einparteienstaat zur Mehrparteien­demokratie.

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