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Aus: Ausgabe vom 18.10.2025, Seite 7 / Ausland
Putschversuch

Südkoreas Watergate

Gerichtsprozess: Aufzeichnungen belegen kollektiven Umsturzversuch der abgesetzten Regierung
Von Martin Weiser, Seoul
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Protest gegen den Kriegsrechtausrufer Yoon Suk Yeol am 5. Januar in Seoul

Hätte US-Präsident Richard Nixon nicht selbst seine Involvierung in den Watergate-Skandal auf Band verewigt, sein Amtsenthebungsverfahren hätte für ihn sehr viel glimpflicher ausgehen können. 1974 dankte er ab, um sich einer mit dem Einbruch ins Hauptquartier der Oppositionspartei und der gescheiterten Anbringung von Abhörwanzen begründeten Absetzung zu entziehen. Aber ohne die Tonbänder aus dem Oval Office hätte er wahrscheinlich vieles einfach abstreiten können.

Südkorea kann sich bisher leider nicht auf Tonaufnahmen stützen, um in dem viel gravierenderen Fall des Umsturzversuchs vom 3. Dezember die gesamte Ministerriege um den geschassten Präsidenten Yoon Suk Yeol zu verurteilen. Aber wie die öffentliche Verhandlung im Fall seines Ministerpräsidenten Han Duck Soo am Montag offenbarte, kann die Staatsanwaltschaft zumindest tonlose Bilder der Überwachungskamera aus dem Kabinettsraum ins Feld führen. Behauptungen, man habe die entsprechenden Dokumente nie gelesen, laut denen etwa linken Medien Strom und Wasser abgestellt und ein Pseudoparlament aufgebaut werden sollte, entpuppten sich so als Lügen.

Die Staatsanwaltschaft zeigte nur wenige Ausschnitte aus den etwa 16 Stunden Bildmaterial und konzentrierte sich auf die Geschehnisse um die Ausrufung des Kriegsrechts um halb zehn Uhr nachts an jenem Dienstag Anfang Dezember herum. Man sieht, wie bereits kurz nach neun nervös versucht wird, genug Leute für das Quorum des Kabinetts herbeizutelefonieren. Mindestens zehn Kabinettsmitglieder brauchte es, um zumindest formal legal das Kriegsrecht zu erklären. Yoons Justizminister musste ihn sogar kurz nach zehn Uhr noch einmal daran erinnern, als der anscheinend schon dachte, der Weg sei jetzt frei für seine Fernsehansprache.

Yoons vorgeschobene Gründe für das Kriegsrecht wie die angebliche »Diktatur der parlamentarischen Mehrheit«, die halb zehn dann live im Fernsehen vorgetragen wurden, erfüllten selbstverständlich nicht die rechtlichen Bedingungen für einen solchen Einschnitt in die Demokratie. Irgendeine Widerrede seitens der Minister oder sogar schockierte Reaktionen sind auf den Bildern der Kabinettssitzung allerdings nicht erkennbar. Die Minister blieben sogar in der Kabinettssitzung nach der Kriegsrechtserklärung unterwürfig, als Yoon fleißig seine gedruckten Anweisungen verteilte. Im Anschluss unterhielten sich noch Premier Han Duck Soo und Innenminister Lee Sang Min bei bester Laune über das weitere Vorgehen.

Die Videoaufnahmen zeigen auch, dass Wirtschafts- und Finanzminister Choe Sang Mok seine Rolle in dem Ganzen kleingeredet hatte. Angeblich habe er ein Papier mit Anweisungen zur faktischen Auflösung des Parlaments nur von irgendeinem Assistenten bekommen und kaum zur Kenntnis genommen. Er sollte dem Parlament einfach den Geldhahn abdrehen und die Mittel an ein Pseudoparlament umleiten. Nur hatte ihm Yoon höchstpersönlich dieses kurze Dokument gegeben, und er las es sich dann ganz in Ruhe durch, während der Ministerpräsident direkt neben ihm eifrig mitlas.

Eigentlich hätte es allen Beteiligten klar sein müssen, dass sie in dieser historischen Nacht gefilmt werden. Aber als Ministerpräsident Han im Verfahren mit den Aufnahmen konfrontiert wurde, verweigerte er jede Reaktion und meinte, er müsse sich erst einmal mit seinen Anwälten beraten. Irgendwie würden seine eigenen Erinnerungen nicht mit diesem Bildmaterial zusammenpassen. Ähnlich verhielt es sich auch bei Wiedervereinigungsminister Kim Yong Ho, stramm rechtsaußen, der am Montag als Zeuge vor Gericht auch feststellen musste, dass sich seine Erinnerung an die Ereignisse auf einmal gewandelt hat. Kurz vor der Kriegsrechtserklärung lag sogar noch ein dicker Umschlag mit Dokumenten an seinem Platz, den er an den Verteidigungsminister weiterreichte. Warum der dort lag oder was sich in dem Umschlag befand, entziehe sich aber seiner Kenntnis, säuselte er vor Gericht. Am Freitag begann jetzt auch das Verfahren gegen Innenminister Lee Sang Min, und das Spiel des Vergessens und plötzlichen Erinnerns wird sich wohl fortsetzen.

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