Hausrotschwanz
Von Jürgen Roth
Im Fernsehen las ich auf einem Laufband, der Vogel des Jahres 2026 sei das Rebhuhn. Eine adäquate Wahl, dachte ich, und da schoss es mir durch den Kopf: Ich hatte dem feinen Herrn Redakteur ja vor vielen Monaten versprochen, was zum Vogel des Jahres 2025, zum Hausrotschwanz, zu schreiben.
In meinen wüsten Haufen aus Ausdrucken, Zeitungsartikeln und Schmierzetteln musste ein Briefumschlag liegen, auf dem ich damals zwei astreine, en passant runtergewichste Gedichte notiert hatte. Die hatte ich dann gewisser Umstände wegen vergessen, und nach einer von purzelbaumartigen Flüchen und Schädelweh begleiteten Suche fand ich sie schließlich.
Die Welt ist erstaunlich. Wahrlich in diesem Moment begann der womöglich grazilste Fliegenschnäpper unserer Breiten, der vor langer Zeit, als Freund der Felsen, aus den Gebirgen zu uns Menschen und unseren Gemäuern herabgestiegen war, dieser verrückte Boden- und Luftjäger, der, aufrecht sitzend und dabei beständig knicksend, die fragilsten, von einem durchgeknallten Kratzen durchsetzten Tonfolgen anstimmt, auf einem First gegenüber zu singen, um die im Umkreis aufhältigen Genossen zum gemeinsamen Aufbruch in den Süden zusammenzutrommeln, denn Mitte, Ende Oktober erreicht die Art ihr sogenanntes Zugmaximum.
Bitte, hier sind sie, die beiden Spitzenpoeme, volles Kanonenrohr dialektisch komponiert. Nummer eins trägt den Titel »Hinfort mit dem Hausrotschwanz!«.
»Ein Zittern und ein Beben, / Ein Knirschen und ein Krachen, / Da gibt es nichts zu lachen. // Wir sehen einen Drachen, / Sein Schlund: ein dunkler Rachen. / Dem Terror gilt sein Streben. // Den Vogel sollst du meiden. / Wer hat den bloß gewählt? / Dies’ Wesen, das uns quält? // Bringt rasch ihn über Grenzen, / Samt allen seinen Schwänzen, / Und juchzet, so er fehlt!«
Das find’ ich schon extrem geil, aber wie steht’s mit Take zwei? Mit »Her mit dem Hausrotschwanz!«?
»O du Jahrhundertvogel, der du / Singst noch im Herbst, herbeizurufen / Deine Wandergesellen! // Schwarz wie Asphalt und rostbraun wie Stahl / Dein Gefieder, teichtief dein Auge / Kündet von Klugheit und Wagemut.«
Wählen Sie 0900–363636 und stimmen Sie ab: Welches der beiden Gedichte soll im Jahrbuch der Vogelwarte Neuendettelsau erscheinen?
Die ersten zehn Anrufer erhalten jeweils drei kellerkalte Spalter-Pils, Wurstkost und Logis im Bauernzimmer unterm Dach inklusive. Um Terminabsprache wird gebeten.
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