Alter Grenzkonflikt eskaliert
Von Satyajeet Malik
Es war ein Wochenende schwerer Verluste für Pakistan und Afghanistan. Der seit langem größte militärische Konflikt an der Grenze zwischen den beiden Nachbarländern war ausgebrochen, nachdem Pakistan am vergangenen Donnerstag drei Luftangriffe in Afghanistan geflogen hatte, die sich nach Angaben Islamabads einzig gegen sogenannte terroristische Ziele richteten. Das pakistanische Militär behauptete, bei den Kämpfen am Wochenende mehr als 200 Taliban-Soldaten getötet und 19 afghanische Grenzposten eingenommen zu haben. Afghanistan gab seinerseits an, 58 pakistanische Soldaten getötet und drei Posten des Gegners erobert zu haben. Es ist bereits das zweite Mal binnen kurzer Zeit, dass die beiden Länder sich bekämpfen, nachdem Pakistan im vergangenen Dezember ähnliche Luftangriffe in Afghanistan durchgeführt hatte. Die Feindseligkeiten scheinen aber vorerst eingestellt worden zu sein, seit Katar, Iran und Saudi-Arabien beide Seiten zur Zurückhaltung aufgefordert haben.
Die Beziehungen zwischen den einst als enge Verbündete geltenden Ländern haben sich in letzter Zeit verschlechtert. Der Grund: Pakistan macht Afghanistan für eine dramatische Zunahme militanter Angriffe im Land verantwortlich. Islamabad wirft Kabul insbesondere vor, dass es den pakistanischen Taliban (Tehrik-e-Taliban Pakistan, TTP) erlaube, afghanisches Territorium für die Vorbereitung von Terroranschlägen in Pakistan zu nutzen. Die TTP, die ideologisch mit den afghanischen Taliban verbunden ist, war 2007 während des von den USA geführten »Kriegs gegen den Terror« entstanden und führt seit langem einen bewaffneten Kampf gegen Pakistan. Die Gruppe strebt den Sturz der dortigen Regierung und die Einführung eines streng islamischen Fundamentalismus an.
Nach Angaben Pakistans wurden bei Angriffen der TTP in diesem Jahr bereits insgesamt 384 pakistanische Soldaten und Polizisten sowie 132 Zivilisten getötet. Pakistan steht seit langem mit Afghanistan in Verhandlungen. Es will Druck auf das Land ausüben, damit es der TTP keinen sicheren Hafen mehr bietet. Aber die Geduld Pakistans scheint nun am Ende zu sein, wie die Angriffe auf TTP-Verstecke vom Donnerstag zeigen.
Allerdings liegen die Wurzeln des Konflikts tiefer und gründen in einem alten Grenzstreit. Afghanische Regierungen bis hin zu den Taliban fechten die sogenannte Durand-Linie an, die die faktische Grenze zwischen den beiden Ländern darstellt. Ihre Festlegung war das Ergebnis eines Abkommens von 1893 zwischen Emir Abdur Rahman Khan, dem damaligen Herrscher Afghanistans, und Britisch-Indien. Afghanistan stellt allerdings die Rechtmäßigkeit des Abkommens in Frage, da es angeblich unter Zwang unterzeichnet wurde. Dadurch habe das Land einen bestimmten Teil seines Territoriums an das britische Empire abtreten müssen. Kabul behauptet, dass die tatsächliche Grenze des Landes weiter östlich verlaufe, fast am Fluss Indus, der Pakistan in zwei Hälften teilt. Pakistan glaubt, dass Afghanistan die TTP als Stellvertreter in seinem Grenzstreit benutzt.
Wenn der Grenzstreit und die zunehmenden Angriffe auch die Ursachen des gegenwärtigen Konflikts zu sein scheinen – der Zeitpunkt ist ebenfalls bedeutsam. Die Luftangriffe Pakistans kommen nämlich genau in einem Moment, in dem Indien den roten Teppich für einen mehrtägigen Besuch des afghanischen Außenministers in Neu-Delhi ausgerollt hat. Islamabad wirft Indien seit langem vor, die TTP und andere in Pakistan operierende separatistische Gruppen zu unterstützen. Ganz in diesem Sinne behauptete die pakistanische Armee in einer vergangenen Freitag veröffentlichten Erklärung, dass sie bei den Zusammenstößen »30 von Indien unterstützte« TTP-Militante getötet habe. Außerdem erklärte der pakistanische Verteidigungsminister Khawaja Asif am Mittwoch, dass »die Wahrscheinlichkeit eines Kriegs mit Indien real ist«. Zuvor waren bei einer Operation gegen die TTP elf pakistanische Soldaten getötet worden.
Tageszeitung junge Welt am Kiosk
Die besonderen Berichterstattung der Tageszeitung junge Welt ist immer wieder interessant und von hohem Nutzwert für ihre Leserinnen und Leser. Eine gesicherte Verbreitung wollen wir so gut es geht gewährleisten: Digital, aber auch gedruckt. Deswegen liegt in vielen tausend Einzelhandelsgeschäften die Zeitung aus. Überzeugen Sie sich einmal von der Qualität der Printausgabe.
links & bündig gegen rechte Bünde
Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.
Ähnliche:
- Baz Ratner/REUTERS12.09.2023
»Krieg gegen den Terror« und kein Ende
- Fayaz Aziz/REUTERS02.02.2023
Terror zurück
- Marat Gurt/Reuters27.02.2018
Glück und Gas
Regio:
Mehr aus: Ausland
-
Brüchige Waffenruhe
vom 14.10.2025 -
Symbolfigur nicht dabei
vom 14.10.2025 -
Staatschef im Abseits
vom 14.10.2025 -
Gefährliches Kalkül im Ukraine-Krieg
vom 14.10.2025