Gegründet 1947 Dienstag, 14. Oktober 2025, Nr. 238
Die junge Welt wird von 3036 GenossInnen herausgegeben
Aus: Ausgabe vom 14.10.2025, Seite 3 / Schwerpunkt
USA

Der Krieg im Innern

Die US-Regierung erklärt Großstädte zu Notstandsgebieten und entsendet die Nationalgarde. Die Kampagne richtet sich gegen die oppositionellen Demokraten
Von Lars Pieck
3.JPG
Auftritt des Knüppelkommandos. Die Illinois State Police in Chicago, 11. Oktober 2025

Die US-Regierung sucht den Krieg im Innern. Um den zu finden, entsendet sie wiederholt Bundesstreitkräfte, vor allem Nationalgardetruppen, in mehrere Städte. Offiziell sollen die Einheiten gegen Kriminalität, Obdachlosigkeit und illegale Einwanderung vorgehen. Erkennbar richten sich die Einsätze allerdings gegen Bundesstaaten und Großstädte, die von den Demokraten regiert werden.

Die Operationen begannen im Juni 2025 in Los Angeles, weiteten sich im August auf Washington, D. C., und im September auf Memphis und Portland aus. Im Oktober trafen Truppen in Memphis ein, während die Bundesstaaten Illinois und Oregon noch immer vor Bundesgerichten gegen den Einsatz der von US-Präsident Donald Trump einberufenen Nationalgardisten kämpfen. Weitere Einsätze in New York, Baltimore, San Francisco und Oakland sind bereits in Vorbereitung. Diese Maßnahmen stehen im Kontext einer fortschreitenden Militarisierung des Inlandes und von Trumps früheren Ankündigungen, das Militär auch ohne Zustimmung der Gouverneure gegen Proteste einzusetzen. Im September bezeichnete er die Einsätze als »Übungsgelände für unser Militär« und sprach von einer »Invasion« und vom »Krieg im eigenen Land«.

Nach seiner Wiederwahl leitete Trump umfassende Säuberungen in Militär und Geheimdiensten ein, entließ unliebsame Führungspersonen und Militärjuristen, um, wie es hieß, Berater zu fördern, »die nichts blockieren«. Unter seinem Verteidigungsminister Pete Hegseth werden Inlandseinsätze des Militärs ausgeweitet. Ziel ist es, die Bevölkerung an eine Militärpräsenz in den Städten zu gewöhnen und Proteste konsequenter zu unterdrücken. Eine Durchführungsverordnung von August sieht die Bildung spezieller Einheiten zur Niederschlagung von Unruhen unter direktem Präsidentenbefehl vor.

Trumps Zugriff auf die Nationalgarden begann im Sommer 2025 mit einer Serie von Einsätzen – gegen den Widerstand mehrerer Gouverneure. In Los Angeles entsandte er im Juni 700 Marines und 4.000 Nationalgardisten zur Niederschlagung von Protesten gegen ICE-Razzien. Ein Einsatz, den Bundesrichter Charles Breyer im September als Verstoß gegen den Posse Comitatus Act wertete, da keine Rebellion vorgelegen habe und die Polizei handlungsfähig gewesen sei. Trotz des Urteils blieben Hunderte Gardisten unter Bundesbefehl im Einsatz; das Urteil kam zu spät, um das gewaltsame Vorgehen zu stoppen.

Im August übernahm die Bundesregierung unter dem Vorwand eines »Kriminalitätsnotstands« die Kontrolle über die Polizei von Washington, D. C., und ließ 2.000 bewaffnete Nationalgardisten patrouillieren, von denen 1.200 aus republikanisch geführten Staaten stammten. Eine Klage gegen den Einsatz läuft noch. Anfang Oktober stationierte Trump zudem 219 Bundesbeamte in Memphis, Tennessee, gegen den Willen der Stadtverwaltung, aber mit Zustimmung des republikanischen Gouverneurs Bill Lee.

Auch in Chicago und Portland genehmigte Trump Einsätze gegen ICE-Proteste und vermeintliche »inländische Terroristen«. In Portland ordnete er am 27. September den Einsatz von 200 Nationalgardisten an, die 60 Tage unter Bundesbefehl stehen und »volle Gewalt« anwenden dürfen. Bundesrichterin Karin Immergut stoppte den Einsatz, wies Trumps Darstellung der Stadt als »kriegsgeschüttelt« zurück und erweiterte die Verfügung auf alle Nationalgardeeinheiten, unabhängig vom Herkunftsstaat. In Chicago genehmigte Trump nach einer Welle von ICE-Razzien am 5. Oktober den Einsatz von 500 Soldaten, 300 aus Illinois, 200 aus Texas, doch auch diese Expedition wurde gerichtlich ausgesetzt. Der Bundesstaat Illinois und die Stadt Chicago klagen weiterhin gegen die Bundesregierung, um den Einsatz endgültig zu beenden.

Washington, D. C., bleibt aufgrund der besonderen Kontrollbefugnisse der Bundesregierung eine Ausnahme. In anderen Städten sind jedoch die Ausrufung des Notstands oder die Anwendung des Insurrection Act nötig, um Einsätze vor Gericht zu rechtfertigen, die Nationalgarde dem Kommando des Bundes zu unterwerfen und also die Gouverneure zu umgehen. Dennoch erprobt die Trump-Administration bereits Wege, juristischen Blockaden auszuweichen, etwa durch die Entsendung von Nationalgardisten aus republikanisch in demokratisch regierte Bundesstaaten. Die militärische Präsenz in Großstädten dient nicht nur der Unterstützung des Deportationsregimes, sondern folgt offenbar auch politischen Zwecken: Ziel sind Staaten mit prominenten demokratischen Gouverneuren und Städte mit einem höheren Anteil nichtweißer Bevölkerung. Wenn eine dauerhafte Besatzung dieser oppositionellen Hochburgen erst einmal als Normalzustand etabliert ist, wäre die verfassungsmäßige Ordnung dauerhaft außer Kraft gesetzt.

Noch hält die Regierung sich weitgehend an richterliche Anordnungen, doch es ist unsicher, ob dies so bleiben wird. Die Mittel, sich gegen die Besatzungen zu wehren, wären damit immer begrenzter. Das macht es aus Sicht der demokratischen Gouverneure um so dringlicher, sich das Vertrauen der Kommandeure der ihnen jeweils unterstehenden Nationalgarde zu sichern. Weitere Einsätze gegen andere demokratisch regierte Großstädte sind bereits in Vorbereitung. Besonders brisant ist New York City, wo im November voraussichtlich der demokratische Sozialist Zohran Mamdani zum Bürgermeister gewählt werden wird. Trump hat der Stadt und Mamdani mehrfach mit einem Truppeneinsatz und dem Entzug von Bundesmitteln gedroht, sollte sich der neue Bürgermeister ihm nicht unterordnen.

Hintergrund

Trumps »Premier«

Stephen Miller, stellvertretender Stabschef des Weißen Hauses für Politik, zählt zu den einflussreichsten Figuren der US-Regierung und wird in Trump-Kreisen als »der Premierminister« bezeichnet. Der 40jährige Nationalist hat zentrale Initiativen vorangetrieben, mit denen die Macht der Bundesregierung beträchtlich ausgeweitet wurde, darunter aggressive Einsätze in demokratisch regierten Städten wie Chicago und Portland. Dort orchestrierte er Abschiebungsrazzien und den gezielten Einsatz der Bundespolizei, oft gegen den Willen lokaler Politiker; er betitelt diese Maßnahmen als Kampf gegen »inländische Bedrohungen« und politische Gegner, die seine rigorose Einwanderungspolitik blockieren.

Millers Einfluss reicht weit über die restriktive Einwanderungspolitik hinaus. So initiierte er bundesweite Sicherheitsoperationen, koordinierte Ermittlungen gegen Universitäten und kulturelle Einrichtungen und setzte die Nationalgarde strategisch ein, um die Durchgriffsmöglichkeiten der Bundesregierung gegenüber Bundesstaaten und Städten zu stärken. Viele Initiativen, darunter Massendeportationen und die Einstufung oppositioneller Gruppen als »inländische Terroristen« über Direktiven wie NSMP-7, tragen seine Handschrift und zeigen, wie er systematisch politische Prozesse im ganzen Land beeinflusst.

In Chicago und Portland nimmt Miller eine öffentlich sichtbare und kämpferische Rolle ein. Für ihn sind die Einsätze ein Showdown zwischen der »rechtmäßigen Macht des amerikanischen Volkes« und »unrechtmäßiger Straßengewalt«, ein Narrativ, das er in Interviews, TV-Auftritten und sozialen Medien immer wieder bedient. Gerichtliche Blockaden der Nationalgarde bezeichnet er als »rechtliche Rebellion« und argumentiert, dass der US-Präsident nahezu uneingeschränkte Befehlsgewalt über Truppen innerhalb der USA haben sollte. Miller bleibt die treibende Kraft hinter Trumps aggressiver Innenpolitik, die den Widerstand in Städten wie Chicago und Portland gezielt überwinden soll. (lp)

Tageszeitung junge Welt am Kiosk

Die besonderen Berichterstattung der Tageszeitung junge Welt ist immer wieder interessant und von hohem Nutzwert für ihre Leserinnen und Leser. Eine gesicherte Verbreitung wollen wir so gut es geht gewährleisten: Digital, aber auch gedruckt. Deswegen liegt in vielen tausend Einzelhandelsgeschäften die Zeitung aus. Überzeugen Sie sich einmal von der Qualität der Printausgabe. 

links & bündig gegen rechte Bünde

Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.

Ähnliche:

  • Die Einwanderungsbehörde ICE geht gegen Demonstranten vor, die I...
    06.10.2025

    Trump lässt Truppen los

    US-Präsident ordnet Einsatz von Nationalgarde in Chicago an. Bundesmilizen terrorisieren Einwohner. Widerstand aus Politik und Bevölkerung
  • Den Stolz wollen sie sich nicht nehmen lassen: Taliban-Mitgliede...
    22.09.2025

    Trump droht Taliban

    Afghanistan: US-Präsident fordert Rückgabe von Luftwaffenbasis, die 2021 geräumt wurde

Regio:

Mehr aus: Schwerpunkt