Wende oder Bluff?
Von Reinhard Lauterbach
Es spricht einiges dafür, dass die Äußerungen von Donald Trump über die Chancen der Ukraine, ihr gesamtes Territorium oder sogar mehr zurückzuholen, nicht unbedingt der Wendepunkt seiner Politik waren, als der er in einigen EU-Hauptstädten eilfertig begrüßt wurde.
Erstens enthält Trumps Text keinen Hinweis darauf, dass die USA unter seiner Führung aktiver in den Krieg eingreifen würden als durch den Verkauf von Waffen an die geschätzten europäischen Verbündeten, die dann »damit machen können, was sie wollen«. Das passiert auch jetzt schon und ist limitiert durch Kapazitätsengpässe der US-Rüstungsindustrie. Auch darin, dass Trump die verbesserten Chancen der Ukraine »der Unterstützung der Europäischen Union« zuschreibt, liegt nichts Neues.
Wenn an den halboffiziellen Interpretationen diverser Sprecher und Minister in Washington irgend etwas dran ist – was nicht zwangsläufig der Fall sein muss –, dann ist Trumps Wende hervorgerufen worden durch seine »tiefe Frustration« darüber, dass Wladimir Putin auf seine früheren Avancen nicht eingegangen ist. Außerdem hat dieser sich nicht auf einen Friedensschluss zu Konditionen eingelassen, die Russland das vergleichsweise Unwichtigste, nämlich Geländegewinne, zugestanden, aber keines seiner politischen Kriegsziele der Erfüllung auch nur nähergebracht hätten. Warum Putin das hätte tun und die strategischen Interessen seines Landes für Trumps schöne Augen hätte hintanstellen sollen, wurde nicht ausgeführt. Implizit scheint dahinter die arrogante Vorstellung zu stehen, dass man einem US-Präsidenten dessen Wünsche nicht ungestraft abschlägt. Trumps Verweis auf den »Papiertiger«-Status Russlands ist auch nicht wirklich ernstzunehmen: Eine »wirkliche Militärmacht« hätte den Einmarsch in die Ukraine innerhalb einer Woche abgeschlossen, höhnte Trump. Und wie war das in Afghanistan? Waren die USA da keine »wirkliche Militärmacht«? Haben sie sich nicht etwa unter dem allgemeinen Hohn der nichtwestlichen Öffentlichkeit nach 20 Jahren unerledigter Dinge davongemacht? Und jetzt kommt Trump daher und verlangt von den Taliban, den USA die Militärbasis Bagram zurückzugeben, weil sie die gebaut hätten? Das ist ohnehin dummes Zeug; ausgebaut hat diesen Stützpunkt noch die Sowjetunion. Das steht im einschlägigen englischen Wikipedia-Artikel, aber Recherche ist Trumps Stärke nicht. Was man auch an seinem Eingangsstatement sehen kann: »Ich habe jetzt volle Kenntnis von der Natur des Konflikts« erhalten und glaube jetzt an die Chancen der Ukraine. Ein bemerkenswerter Schnellmerker, dieser Trump.
So scheint zum jetzigen Zeitpunkt die Hypothese plausibler, dass Trump blufft. In der Hoffnung, Wladimir Putin vielleicht günstiger zu stimmen und ihm, wie ein ukrainisches Portal schrieb, »den Friedensnobelpreis auf einem Silbertablett zu servieren«. It’s not going to happen. Weder das eine noch das andere.
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Leserbrief von Michael aus Wien (25. September 2025 um 15:09 Uhr)Bitte mal genau lesen, was Trump geäußert hat. Immer nur in den teilnehmenden Kategorien zu denken, ist ein Fehler. »Russia has been fighting aimlessly for three and a half years a War that should have taken a Real Military Power less than a week to win. This is not distinguishing Russia. In fact, it is very much making them look like ‘a paper tiger.’ « Das klingt weder nach Parteinnahme für die Ukraine noch nach Gegnerschaft gegen Russland und ist somit auch keine »Kehrtwende«, wie so gern interessiert wie falsch geurteilt wird. Das drückt eher die Verwunderung darüber aus, dass es die Weltmacht Russland nicht geschafft hat, mit ihrer Macht, die ihr Trump also zugesteht, diesen Krieg zu dem von Russland gewünschten Ende zu bringen. Daraus zieht er dann den verkehrten »Schluss«, dass Russland ein Papiertiger sei. Er misst also Russland am Erfolg einer überlegenen Kriegsmacht. Das kann man auch als Aufforderung verstehen, diesen Krieg endlich - zu seinem Vorteil?- abzuwickeln. Trump lässt dabei außen vor, dass die NATO die Ukraine zum Kriegführen gegen Russland ausstattet, interessiert sich aber nach wie vor, was er mit Russland und der Ukraine für Geschäfte zum Vorteil der USA machen kann. Und aus der Perspektive kommt ihm Russland, dessen Macht er gar nicht »distinguishing = ausgrenzen« will, dann eben schwach vor, weil es immer noch kein Ende geschafft hat - reichlich dumm und zynisch aber konsequent - und in der Verlängerung seines Gedankens eines 'schwachen Russlands' spekuliert er dann, dass angesichts dieses »Papiertigers« dann wohl auch für die Ukraine alles möglich sei. Die westliche Presse - incl. Rainer Lauterbach? - die Trumps Äußerungen nur als pro und contra Ukraine/Westen/EU unterschieden will, entnimmt den Worten dann nur ihr eigenes interessiertes Echo.
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Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (25. September 2025 um 09:39 Uhr)Seit der Präsidentschaft Obamas haben im Weißen Haus zunehmend Rhetorik und mediale Inszenierung das Handeln ersetzt. Früher war die US-Politik – ob richtig oder falsch – aber eindeutig von konkretem Handeln geprägt, das sie von anderen Staaten unterschied. Obama kündigte zwar eine strategische Hinwendung nach Asien an, blieb aber bei Absichtserklärungen stehen und konnte Chinas Aufstieg nicht aufhalten. Trumps erste Wahl wurde in Washington als Betriebsunfall betrachtet, entsprechend gering war sein politischer Spielraum. Auf Biden folgte eine Phase der Orientierungslosigkeit, die ebenfalls wenig Substanzielles brachte. Nun ist Trump zurück und präsentiert sich im Ukraine-Krieg vor allem als Bluff-Meister. Ein konsistentes Konzept oder gar eine Strategie ist nicht erkennbar. Stattdessen schwankt er zwischen spontanen Aussagen und Versuchen, in der Haushaltspolitik kosmetische Korrekturen vorzunehmen – wohlwissend, dass die strukturellen Probleme der USA damit nicht zu lösen sind. Seine Sprunghaftigkeit und sein Hang zu improvisierten Aussagen lassen ihn eher wie einen Immobilienmakler wirken, der mal dies, mal das ausprobiert, ohne die Gesamtlage im Blick zu haben. Mit den bevorstehenden Zwischenwahlen droht er erneut zur »lahme Ente« zu werden. Chancen, wirklich etwas zu bewegen, hätte er gehabt – doch dafür fehlen ihm Konzept, Strategie und Fortune.
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Leserbrief von Fred Buttkewitz aus Ulan - Ude (26. September 2025 um 12:02 Uhr)»Ein konsistentes Konzept oder gar eine Strategie ist nicht erkennbar.« Doch. Niemand der Gegner von Trump soll eine Ahnung davon haben, was er im nächsten Augenblick sagen oder tun wird. Das ist ja auch eine bewährte Strategie im Krieg. Es gibt übrigens mitunter auch auf musikalischem Gebiet weltberühmte Dirigenten, deren Gestik dem unfassbaren Zick-zack-Kurs einer fliegenden Motte ähnelt. Da keinerlei Hilfe und Verlässlichkeit von vorn zu erwarten ist, orientiert sich das Orchester dann ausschließlich darauf, wie in der Kammermusik die Sache ohne Dirigenten selbst in die Hand zu nehmen und gewinnt dadurch an Qualität. Mit diesem Wachstum an Selbstständigkeit der anderen Seite rechnet Trump allerdings nicht.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Joachim S. aus Berlin (25. September 2025 um 07:26 Uhr)Ob das noch Bluff ist, was Trump da treibt? Seine Aussagen werden jedenfalls immer widersprüchlicher, man kann auch sagen: wirrer. Mit stringenter Politik haben sie immer weniger zu tun. Es sei denn, man setzt Politik mit Wahnsinn gleich.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (24. September 2025 um 19:42 Uhr)Mir drängt sich der Verdacht auf, dass hierzulande ein Avatar namens Karl-Theodor zu Guttenberg in Talkshows unterwegs ist, der eigentliche KTzG aber als US-Präsident.
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