Gegründet 1947 Montag, 13. Oktober 2025, Nr. 237
Die junge Welt wird von 3036 GenossInnen herausgegeben
Aus: Ausgabe vom 13.10.2025, Seite 3 / Schwerpunkt
Kompromissfindung bei Überwachung

EU-Zank um Bespitzelung

Vorschlag Dänemarks zur Chatkontrolle scheitert an Mehrheitenbeschaffung
Von Sebastian Edinger
imago834839705.jpg
Geht es nach einigen EU-Politikern, soll das Telefon die Überwachung seines Besitzers direkt selbst übernehmen

Auch der überarbeitete Entwurf der Verordnung zur Überwachung von »Child Sexual Abuse Material« (Darstellungen von sexuellem Kindesmissbrauch, CSAM), den die dänische Ratspräsidentschaft im Juli vorgelegt hatte, wird nicht das notwendige Quorum im Rat der EU-Mitgliedstaaten finden. Um die sogenannte Chatkontrolle zu beschließen, wäre die Zustimmung der Regierungen von mindestens 15 Mitgliedern nötig, die zusammen wenigstens 65 Prozent der EU-Bevölkerung repräsentieren.

Am Mittwoch wurde in Brüssel jedoch klar, dass es dafür wieder nicht reichen wird. Der Text wurde von der Agenda der für diesen Dienstag angesetzten Innenministertagung genommen. Am Ende hing alles am Abstimmungsverhalten der BRD – und in Berlin zeichnete sich zuvor bereits ab, dass die »schwarz-rote« Bundesregierung im »Nein«-Lager bleiben würde.

Dabei wurde der Text gegenüber dem ursprünglichen Entwurf der Kommission von 2022 bereits mehrfach abgeschwächt, um Kritiker zu besänftigen und doch noch eine Mehrheit herzustellen. Die Kommission wollte alle Nachrichten, einschließlich verschlüsselter Chats, auf Darstellungen sexueller Gewalt gegen Kinder und sogenanntes Grooming, also die Kontaktaufnahme durch Täter, scannen lassen. Die Empörung war groß, denn es wird befürchtet, dass es nicht bei der Bekämpfung von diesen Straftaten bleibt, wenn die technischen und rechtlichen Voraussetzungen zur Massenüberwachung privater Onlinekommunikation erst einmal geschaffen sind.

Die spanische Ratspräsidentschaft hatte 2023 vorgeschlagen, verschiedene »Risikokategorien« einzuführen und sie unterschiedlich stark zu regulieren. Die darauffolgende belgische Ratspräsidentschaft brachte eine »Chatkontrolle light« ins Spiel, bei der nur nach bereits bekanntem Bild- und Videomaterial gesucht werden sollte. Zuletzt startete nun die dänische Regierung einen Versuch: Mehrjährige Übergangsfristen waren vorgesehen, Textnachrichten komplett ausgenommen, verpflichtende Durchsuchungen sollte es nur bei behördlich als hochriskant eingestuften Anwendungen geben. Half alles nichts, auch dieser Kompromissvorschlag ist nun gescheitert.

Dabei haben sich die politischen Fronten in der Zeit zwischen den Vorschlägen kaum bewegt. Während eine knappe Mehrheit der Mitgliedstaaten für die CSAM-Verordnung ist, wird sie unter anderem von Belgien, der Tschechischen Republik, Polen und den Niederlanden abgelehnt. Die Regierungen der BRD und Österreichs schwanken hin und wieder ein wenig, schlugen sich aber diesmal auf die Seite des Datenschutzes. In Österreich gibt es mittlerweile auch einen verbindlichen Parlamentsbeschluss, der die Regierung auf Ablehnung festlegt.

Zwar zählen große EU-Staaten wie Italien, Spanien und Frankreich zu den Befürwortern, doch ohne die BRD ist das Quorum nicht zu knacken. Selbst wenn die unentschiedenen Regierungen – insbesondere Griechenlands, Sloweniens, Estlands und Rumäniens – sich noch auf die Seite der Befürworter bewegten, käme das Lager bloß auf 59 Prozent der Bevölkerung. Das ist in der Logik der EU jedoch keine Mehrheit.

Im kommenden Jahr übernehmen mit Zypern und Irland wieder zwei Staaten nacheinander die Ratspräsidentschaft, die die Verordnung gerne über die Ziellinie bringen würden. Gut möglich, dass es dann erneut Vorschläge geben wird, um kritische Stimmen für eine Zustimmung zu gewinnen. Die Fronten scheinen jedoch zu verhärtet und der Druck aus der Digitalwirtschaft und der Datenschutzcommunity zu groß – gerade in der für die Mehrheitsfindung entscheidenden BRD.

Tageszeitung junge Welt am Kiosk

Die besonderen Berichterstattung der Tageszeitung junge Welt ist immer wieder interessant und von hohem Nutzwert für ihre Leserinnen und Leser. Eine gesicherte Verbreitung wollen wir so gut es geht gewährleisten: Digital, aber auch gedruckt. Deswegen liegt in vielen tausend Einzelhandelsgeschäften die Zeitung aus. Überzeugen Sie sich einmal von der Qualität der Printausgabe. 

links & bündig gegen rechte Bünde

Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.

Ähnliche:

  • Mette Frederiksen gibt am Mittwoch in Kopenhagen den antirussisc...
    02.10.2025

    EU bleibt auf Kriegskurs

    Brüssel gibt Milliarden an Kiew für Drohnenbau
  • Die Härte: Alexander Dobrindt (CSU, l.) reist derzeit von einer ...
    23.07.2025

    Allianz für Abschiebelager

    Innenminister Dobrindt setzt sich bei Treffen mit EU-Kollegen in Dänemark für Umsetzung verschärfter Asylpolitik ein. Exterritoriale »Rückkehrzentren« nächstes Ziel
  • Dank der Klimakatastrophe geben die schmelzenden Gletscher Grönl...
    31.01.2025

    Seltenes unter Grönlands Erde

    Die große arktische Insel sitzt auf wertvollen Rohstoffen. Das weckt Begehrlichkeiten bei EU und USA

Mehr aus: Schwerpunkt