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Aus: Ausgabe vom 13.10.2025, Seite 3 / Schwerpunkt
Kompromissfindung bei Überwachung

EU-Zank um Bespitzelung

Vorschlag Dänemarks zur Chatkontrolle scheitert an Mehrheitenbeschaffung
Von Sebastian Edinger
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Geht es nach einigen EU-Politikern, soll das Telefon die Überwachung seines Besitzers direkt selbst übernehmen

Auch der überarbeitete Entwurf der Verordnung zur Überwachung von »Child Sexual Abuse Material« (Darstellungen von sexuellem Kindesmissbrauch, CSAM), den die dänische Ratspräsidentschaft im Juli vorgelegt hatte, wird nicht das notwendige Quorum im Rat der EU-Mitgliedstaaten finden. Um die sogenannte Chatkontrolle zu beschließen, wäre die Zustimmung der Regierungen von mindestens 15 Mitgliedern nötig, die zusammen wenigstens 65 Prozent der EU-Bevölkerung repräsentieren.

Am Mittwoch wurde in Brüssel jedoch klar, dass es dafür wieder nicht reichen wird. Der Text wurde von der Agenda der für diesen Dienstag angesetzten Innenministertagung genommen. Am Ende hing alles am Abstimmungsverhalten der BRD – und in Berlin zeichnete sich zuvor bereits ab, dass die »schwarz-rote« Bundesregierung im »Nein«-Lager bleiben würde.

Dabei wurde der Text gegenüber dem ursprünglichen Entwurf der Kommission von 2022 bereits mehrfach abgeschwächt, um Kritiker zu besänftigen und doch noch eine Mehrheit herzustellen. Die Kommission wollte alle Nachrichten, einschließlich verschlüsselter Chats, auf Darstellungen sexueller Gewalt gegen Kinder und sogenanntes Grooming, also die Kontaktaufnahme durch Täter, scannen lassen. Die Empörung war groß, denn es wird befürchtet, dass es nicht bei der Bekämpfung von diesen Straftaten bleibt, wenn die technischen und rechtlichen Voraussetzungen zur Massenüberwachung privater Onlinekommunikation erst einmal geschaffen sind.

Die spanische Ratspräsidentschaft hatte 2023 vorgeschlagen, verschiedene »Risikokategorien« einzuführen und sie unterschiedlich stark zu regulieren. Die darauffolgende belgische Ratspräsidentschaft brachte eine »Chatkontrolle light« ins Spiel, bei der nur nach bereits bekanntem Bild- und Videomaterial gesucht werden sollte. Zuletzt startete nun die dänische Regierung einen Versuch: Mehrjährige Übergangsfristen waren vorgesehen, Textnachrichten komplett ausgenommen, verpflichtende Durchsuchungen sollte es nur bei behördlich als hochriskant eingestuften Anwendungen geben. Half alles nichts, auch dieser Kompromissvorschlag ist nun gescheitert.

Dabei haben sich die politischen Fronten in der Zeit zwischen den Vorschlägen kaum bewegt. Während eine knappe Mehrheit der Mitgliedstaaten für die CSAM-Verordnung ist, wird sie unter anderem von Belgien, der Tschechischen Republik, Polen und den Niederlanden abgelehnt. Die Regierungen der BRD und Österreichs schwanken hin und wieder ein wenig, schlugen sich aber diesmal auf die Seite des Datenschutzes. In Österreich gibt es mittlerweile auch einen verbindlichen Parlamentsbeschluss, der die Regierung auf Ablehnung festlegt.

Zwar zählen große EU-Staaten wie Italien, Spanien und Frankreich zu den Befürwortern, doch ohne die BRD ist das Quorum nicht zu knacken. Selbst wenn die unentschiedenen Regierungen – insbesondere Griechenlands, Sloweniens, Estlands und Rumäniens – sich noch auf die Seite der Befürworter bewegten, käme das Lager bloß auf 59 Prozent der Bevölkerung. Das ist in der Logik der EU jedoch keine Mehrheit.

Im kommenden Jahr übernehmen mit Zypern und Irland wieder zwei Staaten nacheinander die Ratspräsidentschaft, die die Verordnung gerne über die Ziellinie bringen würden. Gut möglich, dass es dann erneut Vorschläge geben wird, um kritische Stimmen für eine Zustimmung zu gewinnen. Die Fronten scheinen jedoch zu verhärtet und der Druck aus der Digitalwirtschaft und der Datenschutzcommunity zu groß – gerade in der für die Mehrheitsfindung entscheidenden BRD.

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  • Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (13. Oktober 2025 um 10:40 Uhr)
    In Brüssel beschließt man eines Morgens feierlich, dass Freiheit nur dann sicher ist, wenn sie gründlich überwacht wird. »Wir müssen die Kinder schützen!«, ruft ein Kommissar, während er den Bau einer digitalen Mauer um Europa plant – aus Firewalls, Scannern und künstlicher Empörung. »Aber das machen doch schon die Chinesen«, flüstert jemand. »Eben!«, strahlt der Kommissar. »Und sehen Sie, wie gut das dort funktioniert – kein Kind missbraucht, kein Gedanke entwischt!« Die Bürger sollen jubeln, doch ihre Nachrichten sind gerade in der Kontrolle. Ein Algorithmus nickt zustimmend. Und als die Sonne über dem EU-Datenschutz aufgeht, sieht man auf der Mauer in goldenen Lettern: »Freiheit durch Überwachung – nach europäischem Vorbild!«

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