Baukasten und Schatztruhe
Von Ken Merten
Auch wenn uns der Leipziger Felsenkeller foppen wollte, sind wir rechtzeitig da. Denn nicht um acht, wie auf der Webseite des Lindenauer Ballhauses angegeben, sondern bereits um dreiviertel sieben geht es los im Oberstübchen des Felsenkellers, Naumanns Tanzlokal. Weiß, wer alt genug ist, um noch bei Facebookveranstaltungen zuzusagen.
Wem die Stunde schlägt: Angekommen läuteten Denial of Life ihren Auftritt am Montag mit AC/DCs »Hell’s Bells« ein, ehe die fünf selbst die Bühne betraten. Die 2019 gegründete Band aus Tacoma im US-Bundesstaat Washington hatte es als Opener schwer und machte es mit Thrash Metal von der Stange nicht einfacher. Dazwischen wurde noch einmal aus Slayer der Blutregen gewrungen. Dafür wurde wohl einst der Begriff »ausbaufähig« bemüht.
Alles andere als das: Shai Hulud im Anschluss. Seit 30 Jahren gibt sich das Quintett alle Mühe, vor großem Erfolg zu fliehen. In Florida gegründet, zog der Sandwurm später nach New York um – und hinterließ Spuren: Mit vielem bis allem, was vom Metalcore und vom beim Skaten gespielten, melodischeren Hardcore seit den 2000ern kommt, hatte die Welt vermittels Shai Hulud ihren Erstkontakt. Die Band ist ein Baukasten, an dem sich bedient wurde. Wo aber andere den Sweet Spot suchen und den so lange drücken, bis es einem kommt, also aller Radiountauglichkeit zum Trotz aufmerksamkeitsökonomisch dem Mainstream nachgeeifert wird, brechen Shai Hulud stets da ab, wo man beginnt, es sich gemütlich zu machen. Wenn Groove, Melodie oder Tempo sitzen – genau da geschieht der Abbruch und kommt damit die unartikulierte Frage: »Warum gefällt dir das?« Das Wörtchen Ideologiekritik ist hierzulande ja von Lumpenadorniten totgeschunden, die »Cynics and Outcasts« verhelfen ihr wieder zu ihrem Recht. Shai Hulud graben dialektische Lyrics aus, die nach Spice schmecken: »Words cannot express my disappointment«, und: »Words cannot express my disapproval.« Sänger Matt Ian Mazzali geht einmal kurz durch die Menge, als teile er die »Miserables« wie das Meer. Er steht auf der Bühne, die Fingerzeige gelten dem Publikum: »I hate you!« Er meint es so, wie er es nicht meint, und wird dafür zurückgeliebt.
Nett 2.0: Bleeding Through. Wer als Metalcoreband ein Keyboard braucht, muss etwas verbergen. Aber der Sound ist satt, und der Genosse, der erst vor einer Woche das erste Mal Vater geworden ist und einen Abend zum Ausgehen nutzt, schmeißt sich freudig in den Moshpit. Hoffentlich bezieht er es nicht auf sich, wenn Brandan Schieppiati witzelt, hier stünde ein Haufen schlechter Eltern, die ihren Nachwuchs unbehütet daheim lassen. Der Sänger der 1998 in Orange County gegründeten Metalcoretruppe will auf das hinaus, was offensichtlich ist: das Durchschnittsalter vor und auf der Bühne.
Denn auch der letzte Act feiert wie Shai Hulud sein 30jähriges Bestehen: Darkest Hour reiten auf dem Snarefell durch ihre Diskografie. Mit »Rapture in Exile« wird sogar ein – zugegeben der ruppigste – Track vom Self-Titled-Album (2014) gespielt, der als Fehltritt rezipierte Seitfallschritt in ein von Weichzeichnern entworfenes Paralleluniversum. In unserem werden auch Darkest Hour sehr einfluss-, aber mäßig erfolgreich bleiben. Unter dem zugegeben montagsmüden und den Morgen danach fürchtenden Publikum aber sind einige, die zu schätzen wissen, was da passiert: Travis Orbin kloppt bei »Convalescence« perkussive Fillings, wo man bislang glaubte, dort sei überhaupt kein Platz mehr. Mike Schleibaum – manchem noch bekannt als Gitarrist von Battery und des Hardcore-(Anti-)Depressiva Be Well – gibt den Bühnenflummi und trifft nichtsdestotrotz die Saiten, auch im zweistimmigen Teil des Solos zu »Sound the Surrender«, das so abrupt von John Henry zurück in die Strophe geschrien wird, als schließe da einer eine ihrem Inhalt an Schönheit kaum nachstehende Schatztruhe. Henry wiederum ist einer jener Sänger, die zwischen Mund und Mikro chronisch ihr geschütteltes Langhaar hängen haben, und bei denen man sich fragt, ob sie nach Auftritten katzengleich Fellbälle auswürgen müssen.
Enden soll der Abend erst nicht richtig und mit dem Gebet an die Göttin des Krieges (»Goddess of War, Give Me Something to Die For«), mit dem auch das aktuelle Album »Perpetual Terminal« (2024) schließt. Auf Krieg aber folgt Stille; als Zugabe gibt es »Tranquil« von »Undoing Ruin« (2005): »Now I know that the worst part is behind us now / Now I know that we’ll get on with life / ’Cause we deserve it.« Draußen regnet es, aber kein Blut.
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