Blockaden gegen Kahlschlag
Von Thorben Austen, Quetzaltenango
Bei dem Generalstreik in Ecuador gegen die Aussetzung der Dieselsubventionen und weitere neoliberale Vorhaben ist am Sonntag die Gewalt eskaliert. Bei der Stadt Cotacachi im Norden des Landes kam ein Mensch ums Leben. Nach Angaben der Indigenenorganisation Conaie handelt es sich um den 46jährigen Gemeindeaktivisten Efraín Fuerez, der mit drei Schüssen getötet wurde. Auf einem Video in sozialen Netzwerken ist zu sehen, wie sich zwei gepanzerte Armeefahrzeuge dem am Boden Liegenden nähern, auch Schüsse sind zu hören. Jemand beugt sich schützend über die reglose Person und wird von fünf Soldaten angegriffen. Diese versuchen, ihn wegzuziehen, und treten und schlagen auf ihn mit ihren Waffen ein. Schließlich lassen sie von ihm ab und ziehen sich in ihr Fahrzeug zurück. Der verletzte Fuerez starb nach Medienangaben später im Krankenhaus.
Am Sonntag abend kam es in derselben Stadt zu Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und Armee. Laut Presse wurden dabei zwölf Armeeangehörige verletzt und 17 Demonstranten »festgenommen«. Nach Regierungsangaben sollen die Soldaten einen Konvoi mit humanitärer Hilfe in die Konfliktregion begleitet haben. »Sie bewachten einen Lebensmittelkonvoi und wurden von in Cotacachi eingedrungenen Terrorgruppen gewaltsam überfallen«, schrieb das Militär auf X. Ein Video zeigt, wie eine teilweise mit Knüppeln bewaffnete Menschenmenge Soldaten bedrängt, einige werden festgehalten. Die Armee dokumentiert zudem Fotos von verletzten Soldaten.
Regierungsministerin Zaida Rovira schrieb auf X: »Was in Cotacachi passiert ist, war kein Protest: Es war ein feiger Hinterhalt krimineller – terroristischer – Organisationen, die unsere Streitkräfte angegriffen haben.« Der rechtsgerichtete Präsident Daniel Noboa behauptete in den Medien, die venezolanische kriminelle Organisation »Tren de Aragua« stecke hinter den Demonstrationen, und warnte, dass Demonstranten, die gegen das Gesetz verstießen, »wegen Terrorismus strafrechtlich verfolgt und mit 30 Jahren Gefängnis bestraft werden«.
Die gut 10.000 Einwohner zählende Stadt Cotacachi liegt im Norden Ecuadors in den Anden in der Provinz Imbabura, die einen Schwerpunkt der Proteste darstellt, die Montag vergangener Woche begonnen hatten und weiter fortgesetzt werden. Nach Medienberichten wurden in mindestens fünf der 24 Provinzen wichtige Verbindungsstraßen blockiert. Generalstreiks sind in Lateinamerika in der Regel keine klassischen Ausstände, in denen Belegschaften großer Betriebe kollektiv die Arbeit niederlegen. Aufgrund der niedrigen Industrialisierung der Länder und des hohen Anteils an informellen Beschäftigten – in Ecuador mehr als die Hälfte der arbeitenden Bevölkerung – sind Straßenblockaden ein zentrales Druckmittel.
Im ganzen Land wurden nach offiziellen Angaben bisher mehr als 100 Demonstranten verhaftet und 48 verletzt. Für besondere Aufmerksamkeit hat der Fall der »Zwölf von Otavalo« gesorgt. Die Kreisstadt Otavalo liegt ebenfalls in Imbabura. Nach einer Demonstration am vergangenen Donnerstag waren zwölf Männer verhaftet worden, denen der Angriff auf eine Polizeistation zur Last gelegt wird und denen eine Verurteilung wegen Terrorismus droht. Die zwölf wurden unmittelbar in die weit von ihren Wohnorten entfernten Gefängnisse Esmeraldas und Manabí ausgeflogen, die an der Pazifikküste liegen. In Esmeraldas kam es dann am Freitag zu einer bewaffneten Auseinandersetzung zwischen verfeindeten Bandenmitgliedern, bei der 17 Gefangene ums Leben kamen. Anwälte der zwölf haben mittlerweile Beschwerde gegen die Inhaftierung eingelegt und verlangen die Verlegung in eine Haftanstalt in der Provinz Imbabura.
Nelly Colimba von der Conaie erklärte am Montag gegenüber jW, die »Mobilisierung werde trotz Verletzter und Festnahmen bis zur letzten Konsequenz fortgesetzt«. Die früheren Präsidenten Lenín Moreno und Guillermo Lasso hatten 2019 und 2022 ebenfalls ein Ende der Dieselsubventionen und damit verbundene Preiserhöhungen angekündigt, nach Protesten von Conaie und weiteren Organisationen wurden die Vorhaben jedoch jeweils zurückgenommen.
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