Georg Stefan Troller tot
Der Journalist und Dokumentarfilmer Georg Stefan Troller ist im Alter von 103 Jahren am 27. September in Paris gestorben, wie seine Tochter Fenn Troller mitteilte. Troller war einer der bedeutendsten Fernsehjournalisten und Dokumentarfilmer der deutschen Nachkriegszeit. Schon in den 1960er Jahren stellte er in Interviews mit Prominenten der französischen Kulturszene Fragen, die alles andere als gewöhnlich waren, wie: »Sind Sie glücklich mit Ihrem Leben?« In einem langen Interview zu seinem 100. Geburtstag sagte er dem Bayerischen Rundfunk, er habe in die Menschen »eintauchen« wollen, um zu verstehen, wie sie zu dem wurden, was sie sind. Als »Menschenfresser« bezeichnete er sich selbst – eine Selbstbeschreibung für seine unstillbare Neugier, dem Leben anderer Menschen nachzuspüren. Seine betont subjektive Befragungsmethode wurde von Verfechtern dokumentarischer Objektivität zunächst kritisiert. »Meine Ausdrucksweise konnte sich dem angleichen, aber dahinter lauerte der Subjektivismus«, erzählte er in dem Interview weiter. Diese Mischung sei sein Stil gewesen. Geschichten nur objektiv beschreiben, das könne er nicht, denn im Grunde sei er ein Lyriker – und wo gebe es Lyriker, die nicht mit »Ich« anfangen?
Troller machte die persönliche Sicht der Dinge zum Hauptreiz seiner mehrfach ausgezeichneten Sendungen, wie dem »Pariser Journal« im WDR mit prominenten Gästen aus der französischen Metropole und der ZDF-Sendereihe »Personenbeschreibung«.Troller wurde am 10. Dezember 1921 in Wien in eine jüdische Pelzhändlerfamilie geboren. 1938 flüchtete die Familie vor den Nazis zunächst in die Tschechoslowakei, dann nach Frankreich und in die USA. Im Jahr 1943 wurde er von der US-Armee zum Kriegsdienst eingezogen, im April 1945 war er an der Befreiung des KZ Dachau beteiligt. Wegen seiner Deutschkenntnisse wurde er mit der Vernehmung von Kriegsgefangenen beauftragt.
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs begann er in den USA Anglistik zu studieren, bevor er an die Sorbonne nach Paris kam. Dort fand er seine Berufung als Kulturkorrespondent und Fernsehreporter. Troller lebte über 70 Jahre in Frankreich; seine zweite Frau starb 2018 und wurde in Paris beerdigt.
Trollers Hauptantriebskraft war nach eigener Aussage die Überwindung seiner natürlichen, durch Flucht und Verfolgung verstärkten Menschenangst. Indem er ausgewählten Menschen die Fragen stellte, die er an sich selbst hatte, erweiterte er seinen eigenen Erfahrungshorizont.
Troller drehte bedeutende Dokumentarfilme wie »Mord aus Liebe« (1993), »Unter Deutschen« (1996) oder »Amok« (2001) und nicht zuletzt den Film »Selbstbeschreibung«, der auf seiner gleichnamigen Autobiographie beruht. Auch veröffentlichte er zahlreiche Bücher, so etwa 2021 »Meine ersten 100 Jahre«. (dpa/jW)
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