Der Stier in dir
Von Manfred Hermes
In der Camargue ist das Leben naturnah und fast so hart wie im früheren Wilden Westen. Herden weißer Pferde und schwarzer Stiere toben durch diese schöne Landschaft, junge Cowboys mit schwieligen Händen hegen die halbwilden Tiere ein. Da sie trotzdem in jemandes Eigentum stehen, werden den Jungtieren Brandzeichen gesetzt. Die verbrannten Rinder schreien dabei so erbärmlich, dass einem nicht nur das Mitleid kommt, es wird so auch der Ton für kommende Greuel und Grausamkeiten gesetzt.
Die Stiere haben übrigens auch einen Zweck, denn sie werden vor allem für Wettkämpfe herangezogen, die auch touristisch relevant sind. Anders als die spanische Variante findet dieser in einer kleineren Arena und auch mit viel kleineren Tieren statt, wirken auch eher wie ein »Prank« als ein Kampf. »Raseteure« nähern sich den schnaubenden Rindern zu Fuß, um Bommel von ihren Hörnern zu schneiden. Auch dabei kommt es auf Gewandtheit, Finesse und Fitness an, und auch hier kann es böse enden. Trotzdem ist das nicht der archaische Kampf auf Leben und Tod, der die Goyas, Picassos, Hemingways oder Manets dieser Welt an der Tauromachie fasziniert und zu teils großartigen Werken angestiftet hat.
Emma Benestans Film verleiht dieser Welt zunächst einen sanften Schimmer, legt aber schnell übergeordnete Anliegen nach. Die junge Frau Nejma (Oulaya Amamra) kann gut mit Pferden und Stieren und arbeitet in diesem von Männern dominierten Metier so hart wie nur irgendwer. Die oft streng und genervt schauende Frau mampft ihr Essen wie ihre Kollegen und ist überaus willensstark. Vor allem will sie beweisen, dass auch sie das Zeug für die Arena hat. Sie will also selbst »Rasiererin« werden, und das hat die Welt bislang noch nicht gesehen.
Bei innigen Gesprächen am Feierabend erfährt sie aber viel Unterstützung für ihren Plan. Dabei werden nach und nach auch die üblichen soziokorrekten Punkte abgehakt. Die Hauptfigur ist nicht nur eine »starke Frau«, sie hat auch »Migrationshintergrund«, allerdings legt ihr das keine größeren Schwierigkeiten in den Weg. Dann ist da noch der schwule Wettkämpfer, mit dem sie eng befreundet ist.
Aber Nejma kommt auch mit den Heterojungs zurecht, kann sich da durchsetzen, ist trinkfest und macht manchmal auch bei den Drogen mit. Das aber geht dann nicht gut aus. Ein Kollege nutzt, entnimmt man atmosphärischen Spannungen, ihren Blackout und vergewaltigt sie. Unterdessen häufen sich seltsame Vorfälle am Ort. Einige der Cowboys werden nachts von Stieren angegriffen und teils schwer verletzt. Es zieht jetzt eine horrorhafte Unbestimmtheit ein, die auf Geheimnisse gefasst macht.
Zu den oben erwähnten Werken mit Corridabezug gehören zwei Gemälde von Eduard Manet. Eins zeigt die Schauspielerin Victorine Meurent fast lebensgroß als Torero vor einer wie für ein Kinoplakat gemalten Arena. Wenn man will, ist sie da »in drag«, vielleicht handelt es sich auch um ein Rollenkostüm oder sonst ein Verkleidungsspiel. Alles Spanische war damals, muss man dazu sagen, so sehr in Mode wie heute Selbstermächtigungsstorys. Manets »Der tote Torero« von 1864 ist für unseren Zusammenhang noch interessanter. In diesem Querformat liegt ein ausgestreckter Mann diagonal und in festlicher Wettkampfkleidung da. Dadurch entsteht etwas Eigenartiges: In dem toten und blicklosen Körper verschiebt Manet das Genre, die menschliche Figur wird zum Stilleben, zu etwas wie einem kopfüber aufgehängten Fasan – es sei denn, man zöge Christusdarstellungen nach der Kreuzabnahme hinzu.
Hier wird eine Niederlage, ein Zusammenbruch als Mensch und Mann affektiv, aber mit unscheinbarsten Mitteln inszeniert. Dagegen lassen sich Reduktionen in Benestans Film nirgends finden. Hier ist alles Aufrichtung, Aufblähung, irgendwie triumphant. Von allem gibt es ein bisschen. Zum Beispiel findet nun eine Metamorphose statt. Nejma beginnt, sich mit den gehörnten Wesen zu identifizieren, und zwar so sehr, dass deren Schmerzen ihre werden. Gleichzeitig wachsen ihre Zehen und Finger wie zu Hufen zusammen.
In diesen Angleichungen geht nicht nur die potente Symbolik des Wirtstiers auf sie über, genaugenommen wechselt sie dabei das Geschlecht. In dieser Form kann sie sich erst mal an ihrem Vergewaltiger rächen.
Hier muss ich sagen, dass ich schon dem Kurzschluss von Mann und Vergewaltiger nur ungern folge. Als wie auch immer ergiebig »Vergewaltigung« motivisch oder emotional hier erachtet wurde, es zwingt dem Film aber doch ein ziemliches Durcheinander auf. Was soll das für eine Ermächtigung sein, die die äußerste Erniedrigung als eine geradezu naturgegebene festschreibt und sich durch einen Wechsel ins Geschlecht mit intrinsischen Vergewaltigungstrieben erfüllt? Benestans Nießbrauch der Symbolik von Kraft und Fruchtbarkeit ist um so verwirrender, als sie sich auf Widerspruchslosigkeit zu verlassen scheint. Es gibt hier also nicht nur die animalische, sondern auch eine opportunistische Seite.
»Animale«, Regie: Emma Benestan, Frankreich 2024, 98 Min., bereits angelaufen
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