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Aus: Ausgabe vom 29.09.2025, Seite 11 / Feuilleton
Architektur

Gebaute Erinnerung

»Vom ›Kraftwerk Gottes‹ zur Knesset«: Eine Ausstellung über den Architekten Ossip Klarwein in Berlin
Von Sabine Lueken
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Innenansicht vom »Kraftwerk Gottes«

Viele Berliner kennen den markanten Backsteinbau am Hohenzollernplatz vom Vorbeifahren. Dort erinnert derzeit eine Ausstellung an dessen Architekten Ossip Klarwein (1893–1970). Die Kirche war sein letztes Bauwerk in Deutschland, bevor er 1933 vor den Nazis nach Palästina floh. Später, nach der Staatsgründung, entwarf er in Israel zahlreiche öffentliche Bauten, darunter das heftig umstrittene Knesset-Gebäude in Jerusalem.

Ihm, der als Jude zweimal fliehen musste – 1933 aus Deutschland und 1905 mit den Eltern aus dem antisemitischen Warschau, das zum russischen Zarenreich gehörte –, warf man in Israel vor, sein Entwurf sei »faschistoid«. Vertreter der Avantgarde nannten ihn »altmodisch« oder »un-israelisch« und forderten ein »fortschrittliches Gebäude« nach Vorbildern wie Oskar Niemeyer oder Le Corbusier. Zwar hatte Klarwein 1957 den Wettbewerb gewonnen, doch sein Entwurf wurde vor der Realisierung stark verändert: »Mit dieser Bitterkeit im Herzen kann ich mich nicht konzentrieren«, schrieb er, als er seinen in Deia auf Mallorca lebenden Sohn besuchte. Mati Klarwein (1932–2002) war Maler; seine Plattencover für Santanas »Abraxas« und für Miles Davis’ »Bitches Brew« (beide 1970) sind legendär.

Als die Knesset 1966 eröffnet wurde, verteidigte Klarwein voller Wut seinen Entwurf in der Haaretz: »Alle sagen, der Bau sei neoklassizistisch und faschistoid. Aber das stimmt nicht. Lachhaft. Das letzte Gebäude, das ich in Berlin gemacht habe, 1933, ist eine evangelische Kirche. An der Eröffnung konnte ich nicht teilnehmen, weil Göring da war. Damals wurde ich von den Deutschen verunglimpft wegen der Mosaiken: Sie seien ›rassenunrein‹. Und hier wirft man mir vor, die Knesset sei faschistoid!«

Die Berliner Kirche am Hohenzollernplatz mit ihrem schmalen, über 60 Meter hohen Turm und dem Gemeinde- und Pfarrhaus in der Nassauischen Straße war Ausgangspunkt für die Recherche der Journalistin und Historikerin Jacqueline Hénard. Bei der Einweihung 1933 wurde die Kirche als »Kraftwerk Gottes« verspottet – heute hört sich das eher wie ein Kompliment an. Der Bau selbst: ein eindrucksvolles Monument des Backsteinexpressionismus.

Die Grundkonstruktion bilden dreizehn Betonbögen – ein Material, das sonst eher im Industriebau Verwendung fand. Die Fassade ist ausschließlich aus Klinkern mit unterschiedlichen Oberflächen und Dekorationsformen aufgemauert. Eine halbrunde Treppe führt zum Eingang, eingefasst von goldglasierten Steinen und Glasmosaiken. Im Inneren öffnet sich in starkem Kontrast zu außen ein heller, weiträumiger Saal, getragen von neugotischen Spitzbögen aus unverkleidetem Beton, deren Oberfläche sichtbar die Spuren der Schalungsbretter trägt. So hatte es Klarweins Chef Fritz Höger gewollt, während Klarwein selbst Parabelbögen geplant hatte.

Klarwein, ehemals Meisterschüler bei Hans Poelzig, war seit 1926 hochgeschätzter Mitarbeiter im Büro des weltberühmten Höger. Neben dem bekannten Chilehaus in Hamburg (1922–1924) verantwortete das Büro zahlreiche Bauten in Norddeutschland, unter anderem in Wilhelmshaven, Rüstringen und Nordenham. Högers völkisch-nationalistische Gesinnung und seine NSDAP-Mitgliedschaft seit 1932 sind dokumentiert; er blieb auch nach 1945 Antisemit. Gleichwohl beschäftigte er Klarwein in leitender Position – in einem Zeugnis nannte er ihn »meinen wertvollsten und liebsten Mitarbeiter«.

Im November 1933 emigrierte Klarwein – mit Högers Hilfe, wie die Ausstellung behauptet – nach Palästina. Höger selbst, der gehofft hatte, Baumeister des »Dritten Reichs« zu werden, fiel nach dem Ende des »Expressionismusstreits« 1935 bei den Nazis in Ungnade. Der nordische Stil galt fortan als unerwünscht, andere Künstler wie Emil Nolde, Ernst Barlach oder Bernhard Hoetger wurden als »entartet« gebrandmarkt.

In Palästina baute Klarwein sich eine neue Karriere auf. Zunächst lief es gut: Er gewann Wettbewerbe, gestaltete Grabstätten, unter anderem für den ermordeten zionistischen Politiker Chaim Arlozoroff und für Theodor Herzl – eine Fortführung seines Entwurfs von 1932 für ein »Reichsehrenmal« für die toten Soldaten des Ersten Weltkriegs. Er entwarf Wohnhäuser in Tel Aviv, in Haifa, wo er wohnte, und im »Seebad der Jeckes«, Nahariya.

Mit Kriegsbeginn 1939 wurde es schwierig. Klarwein musste als »Temporary Assistant Architect« bei der britischen Mandatsbehörde arbeiten. Ab 1944 konnte er sich wieder selbständig machen und erhielt Aufträge für Zweckbauten. Dabei nutzte er zunehmend den hellen Kalkstein der Region. Nach der Staatsgründung 1948 wurde er als Stadtarchitekt von Jerusalem berufen und entwarf zahlreiche Projekte für regierungsnahe Institutionen. Für den Industriellen Reuben Hecht plante er die Dagon-Getreidesilos im Hafen von Haifa – 70 Meter hoch und 200 Meter breit – die riesigen Kuben mit der rautenförmigen Bekrönung und den Rautenmusterfassaden wurden zum Wahrzeichen der Stadt. »Ich bin sehr stark beschäftigt. Habe große Projekte in Arbeit: Universität in Jerusalem, Hauptbahnhof in Tel Aviv, Autobusstation in Jerusalem, Gebäude für die Krankenkasse und die Gewerkschaft, Nationaldenkmal mit Park – und das alles fast ohne Hilfe. Man muss hier schwer arbeiten, aber es macht glücklich«, schrieb er 1954 an Freunde.

Die Ausstellung des Aktiven Museums – Faschismus und Widerstand in Berlin e. V. verbindet unaufdringlich Biographie und Werk. In der Vorhalle wird Klarweins Leben erzählt, in den Seitenschiffen sind Entwürfe zu sehen, während die Kirche selbst das Hauptexponat bleibt. Fotografien von Eli Singalovsky und Kurzfilme von Studierenden der Universität Tel Aviv schlagen den Bogen zur Gegenwart. Sie zeigen Klarweins Bauten in ihrem heutigen, oft vernachlässigten Zustand und verdeutlichen die Bedeutung von Erhalt und Pflege.

Klarwein konnte seiner Halbschwester Bronislawa nicht zur Ausreise verhelfen. Sie lebte seit 1931 in der Berliner Motzstraße 15 und wurde 1944 völlig verarmt nach Theresienstadt und von dort nach Auschwitz deportiert. Für sie wurde im Juni 2025 ein Stolperstein verlegt – ihr Schicksal kannten selbst die Nachfahren der Familie bis dahin nicht.

»Ossip Klarwein. Vom ›Kraftwerk Gottes‹ zur Knesset«, Kirche am Hohenzollernplatz, Nassauische Straße 66, 10717 Berlin-Wilmersdorf, bis 16. Oktober, Öffnungszeiten: Mo. u. Do. 16–18 Uhr, Mi. 11–13 Uhr, Sa. 13–15 Uhr, Eintritt frei. Ab 16. November 2025 bis 8. Februar 2026 im Ernst Barlach Haus, Hamburg

Gleichnamiger Katalog hg. von Jacqueline Hénard. Verlag Kettler, Bönen 2025, 160 Seiten, 34 Euro, in der Ausstellung 25 Euro

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