Tickets für die Rosa-Luxemburg-Konferenz
Gegründet 1947 Sa. / So., 27. / 28. September 2025, Nr. 225
Die junge Welt wird von 3036 GenossInnen herausgegeben
Tickets für die Rosa-Luxemburg-Konferenz Tickets für die Rosa-Luxemburg-Konferenz
Tickets für die Rosa-Luxemburg-Konferenz
Aus: Ausgabe vom 27.09.2025, Seite 3 (Beilage) / Wochenendbeilage

Kriegswart

Von Arnold Schölzel
schwarzer kanal 1100 x 526.png

Am 19. Oktober erhält der Historiker Karl Schlögel in Frankfurt am Main den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels, »heute ein Preis für geistige Kriegstüchtigkeit« (Reinhard Lauterbach am 2. August in dieser Zeitung). Am Donnerstag veröffentlichte die Neue Zürcher Zeitung (NZZ) ein Interview mit ihm. Am selben Tag strahlte der Deutschlandfunk (DLF) ein »Zeitzeugengespräch« mit ihm aus.

Schlögel beschreibt in der NZZ sein Verständnis von Geschichtsschreibung so: Es gehe ihm »um das Nicht-Absichtsvolle, das Sich-treiben-lassen«. Manche seiner Kollegen sagten, »das sei mehr Literatur als Geschichtsschreibung«. Offenbar sehen sie in seinen Texten Unschärfe oder gar Fiktion. Das schafft eine Aura von Beliebigkeit, die hierzulande im Ideologiebetrieb absichtsvoll mit Liberalismus verwechselt wird, und liefert ein Hin und Her beim Gegenstand Osteuropa, der in der alten Bundesrepublik und im Kalten Krieg von sich aus im Geruch des Feindverstehens, also kommunistischer Infiltration stand. Heute aber hindert das Schlögel nicht an klaren Urteilen und NATO-konformen »antifaschistischen« Andeutungen, wonach Putin Hitler sei. Ihn interessiere, sagt er in der NZZ, »die manchmal irritierende Gleichzeitigkeit von Ereignissen: In Moskau geht auch jetzt noch alles seinen geordneten Gang. Restaurants und Cafés sind voll, die Menschen gehen einkaufen, auf den Straßen gibt es Staus, am Abend finden Theatervorstellungen und Konzerte statt – und nicht weit davon findet ein barbarischer Krieg statt, von dem man im Fernsehen Bilder sehen kann. Wie ist eine Gesellschaft beschaffen, die das verkraftet? Die Normalität und Barbarei zusammenbringt?«

Das Nebeneinander könne man vielleicht nicht erklären, müsse sich seiner aber bewusst sein. Worauf die Gleichsetzung folgt: »Am 1. September 1939 waren die Cafés am Kurfürstendamm in Berlin auch voll, am Abend gab es Theaterpremieren, Modeschauen. Gleichzeitig rollten die Panzer über die Grenzen.« Das sei, so Schlögels methodischer Hinweis, »Ausdruck der Komplexität der Welt und der Heillosigkeit von historischen Situationen«.

Das kann auch zu »Die Welt ist ungerecht« oder sonstiger Schlichtheit geschrumpft werden. Um nicht mit Hegel (oder Marx und Lenin) zu sagen: »Wer die Welt vernünftig ansieht, den sieht auch sie vernünftig an.« Die »einsame Stimme«, als die sich Schlögel – in den 80er Jahren gerade einer antisowjetischen K-Gruppe entlaufen – laut DLF-Interview damals wegen seines Interesses für Osteuropa in der BRD sah, ist heute zur Kriegsmoraltrompete geworden. Schlögel hat im Kriegssignalschmettern seine Bestimmung gefunden und sagt daher in der NZZ auf die Bemerkung, er habe »sich schon sehr früh dafür ausgesprochen, dass der Westen, dass Deutschland Waffen an die Ukraine liefert«: »Ja, und daran halte ich fest. Alle, die jetzt nichts anderes fordern als Frieden, sollten zur Kenntnis nehmen, was sich in diesem schrecklichen Krieg abspielt. Tag für Tag fallen Bomben auf die Ukraine. Einfach nur zu sagen, der Krieg müsse sofort beendet werden, reicht nicht aus. Die Frage ist, wie er beendet wird.« Wie er sich dieses Ende vorstellt, ist zu erfahren: »Durch Krisen, Kriege und Katastrophen. Niederlagen gaben aber auch immer wieder Anstoß zu gesellschaftlicher Umwälzung – so der Krimkrieg, der russisch- japanische Krieg, sogar der Afghanistan-Krieg, der dazu beigetragen hat, das alte Regime zu erschüttern.« Er wolle »dem Fatalismus widersprechen, Russland sei grundsätzlich nicht zu Erneuerung fähig.«

Wenn es am Boden liegt. In der Komplexität von Schlögels Welt kommt Frieden nicht vor. Jedenfalls nicht mit Russland. Ein würdiger Preisträger.

In der Komplexität von Schlögels Welt kommt Frieden nicht vor. Jedenfalls nicht mit Russland. Ein würdiger Preisträger.

Tageszeitung junge Welt am Kiosk

Die besonderen Berichterstattung der Tageszeitung junge Welt ist immer wieder interessant und von hohem Nutzwert für ihre Leserinnen und Leser. Eine gesicherte Verbreitung wollen wir so gut es geht gewährleisten: Digital, aber auch gedruckt. Deswegen liegt in vielen tausend Einzelhandelsgeschäften die Zeitung aus. Überzeugen Sie sich einmal von der Qualität der Printausgabe. 

links & bündig gegen rechte Bünde

Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.

Ähnliche:

Regio:

Mehr aus: Wochenendbeilage