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Aus: Ausgabe vom 27.09.2025, Seite 3 (Beilage) / Wochenendbeilage

Frieden nur mit Russland

Am 7. Oktober 2009 äußerte sich der frühere DDR-Ministerpräsident Hans Modrow (1928–2023) in jW zu den deutsch-russischen Beziehungen. Ein Auszug
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Ohne sowjetische Zustimmung keine Gebietserweiterung. Bundeskanzler Helmut Kohl und Michail Gorbatschow, Präsident der Sowjetunion und Vorsitzender der KPdSU, unterzeichnen am 9. November 1990 in Bonn den Vertrag über gute Nachbarschaft, Partnerschaft und Zusammenarbeit

Vor zwanzig Jahren vollzog sich mit der Öffnung der Grenze zwischen der DDR und Westberlin ein Ereignis von welthistorischer Bedeutung. Die Grenze zwischen den beiden deutschen Nachkriegsstaaten wurde geöffnet, und die Sicherung der westlichen Grenze der Staaten des Warschauer Vertrages von der Ostsee bis zum Schwarzen Meer hatte ihren politischen und militärischen Sinn verloren. Es keimte die Hoffnung, der Kalte Krieg gehe zu Ende, wir könnten bald in einer friedlichen Welt leben.

Aber schon der Umgang mit dem, was einmal der Kalte Krieg war, fegte rasch alle Erwartungen hinweg. Es habe eine Bedrohung aus dem Osten gegeben, und der Westen habe sich schützen müssen. Aus diesen Zwängen sei die Gründung der NATO notwendig gewesen. Von »bolschewistischer« Gefahr konnte nach den Nürnberger Prozessen mit der Verurteilung der deutschen faschistischen Kriegsverbrecher nicht mehr gesprochen werden. Aber eine neu bestückte antikommunistische Ideologie war bald aufgerüstet und durch neue Bedrohungslegenden gestützt.

Der heiße Zweite Weltkrieg hat über 50 Millionen Menschen das Leben gekostet. Den größten Blutzoll haben die Russen und alle Völker der Sowjetunion bezahlt. Die Zerstörungen waren ungeheuerlich und die Aufwendungen für die Kriegführung gewaltig.

Bald standen sich zwei militärische Blöcke gegenüber, NATO und Warschauer Vertrag, und ihre Rüstung für neue militärische Strategien und mit neuen Waffen war bald teurer als alle übrigen Aufwendungen im Kalten Krieg. (…)

Als sich Gorbatschow am 2. und 3. Dezember 1989 mit Bush auf Malta traf, fehlte auf sowjetischer Seite jegliche Konzeption zur deutschen Frage. Bush hatte mehr im Gepäck, packte es aber noch nicht aus. Als sich am 4. Dezember 1989 die politischen Vertreter des Warschauer Vertrages in Moskau trafen, konnte das Bild der Zerfahrenheit und Ignoranz bei Gorbatschow kaum deutlicher sein. Nur durch die Vermittlung von Valentin Falin gab es ein sowjetisch-deutsches Gespräch. Gorbatschow hatte es nicht geplant.

Noch nach Moskau gab es Gespräche von US-Außenminister Baker, Frankreichs Präsident Mitterrand und Großbritanniens Außenminister Hurd mit dem Ministerpräsidenten der DDR. Die Verhandlungsspielräume waren noch nicht verschwunden, aber kopflos wie Gorbatschow durfte man darauf nicht reagieren. Bald jedenfalls war sichtbar, dass jeder Versuch, wenigstens einen Teil der Initiative zu ergreifen, aussichtslos war. Ein zwischen beiden deutschen Staaten angedachter Dreistufenplan zur Vereinigung, der ein militärisch neutrales Deutschland einschloss, hielt nach Absprache und Vereinbarung keine zehn Tage stand.

Baker und Kohl holten am 9. bzw. 10. Februar 1990 aus Moskau die Akzeptanz einer Erweiterung der NATO, d. h. die Rahmenbedingungen einer deutschen Vereinigung, die schon gegen sowjetische Interessen standen. Die schnelle Vereinigung ließ Illusionen wachsen, brachte aber in ihrem Verlauf großen Schaden für die Sowjetunion und für die DDR. (…)

Der Zwei-plus-vier-Vertrag konnte nicht ohne die von der DDR ausgelösten Initiativen zum Abschluss gebracht werden. Als es um die Zustimmung zum Zwei-plus-vier-Vertrag im Obersten Sowjet der UdSSR im März 1991 ging, hat sich Valentin Falin für eine gemeinsame Position in einer Erklärung des Parlaments eingesetzt. Der Oberste Sowjet der UdSSR sprach seine Erwartung aus, dass die Menschenrechte gegenüber den Bürgern der DDR eingehalten und niemand wegen seiner politischen Überzeugung juristisch verfolgt wird. Als ich im Deutschen Bundestag Außenminister Genscher aufforderte, diese Erklärung zu respektieren, war seine Antwort: Für den Obersten Sowjet mag es wichtig sein, sich zu erklären, völkerrechtlich ist die Sache nicht relevant und gehört nicht zum Zwei-plus-vier-Vertrag.

Der Zwei-plus-vier-Vertrag wurde mit den vier Siegermächten des Zweiten Weltkrieges abgeschlossen. So schmalbrüstig er auch sein mag, er steht anstelle eines Friedensvertrages, den es nicht gibt. Manches scheint sich seit Obamas Amtsantritt zwischen den USA und Russland zu bewegen. Dennoch sollte die Bundesrepublik Deutschland nun mehr aus dem Schatten der USA hervortreten und ihre Beziehungen zu Russland überprüfen.

Sicherheit, gute Nachbarschaft und partnerschaftliches Miteinander sind heute für europäische Außenpolitik ein hohes Gut. Deutschland und Russland sollten aktiver dafür einstehen, den bisher begrenzten Raum zu erweitern und im gegenseitigen Interesse zu vertiefen. (…)

Es sollte sich die Erkenntnis durchsetzen, dass Europa und damit auch Deutschland nicht gegen Russland friedvoll leben kann, sondern nur in gemeinsamer Bemühung mit Russland.

Hans Modrow: Alte und neue Barrieren. Zum 20. Jahrestag des Falls der Berliner Mauer. In: junge Welt, 7. Oktober 2009

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