Die Liebende
Von Marc Hairapetian
Claudia Cardinale war als Filmdiva ohne Allüren ein weltweites Phänomen. Ich lernte die am 15. April 1938 als Claude Joséphine Rose Cardinale in Tunis (damals Französisches Protektorat Tunesien) geborene und am 23. September 2025 im französischen Nemours verstorbene Schauspielerin bei der Berlinale 1996 kennen, als sie Férids Boughedirs Film »Ein Sommer in La Goulette« vorstellte. Nach der offiziellen Pressekonferenz, auf der ich ihr im Nachgang einige Fragen gestellt hatte, schlug sie mir vor, das Gespräch bei einem gemeinsamen Kaffee zu vertiefen. In einem mittlerweile nicht mehr existierenden Bistro in der Budapester Straße zeigte ich mich als junger Journalist verblüfft von ihrem Angebot. Sie entgegnete mir lachend: »Sie haben mir gute Fragen gestellt, und ich bin trotz meiner langjährigen Karriere selbst immer noch ein Fan, der Filme über alles liebt.«
Ihre Natürlichkeit war eines der Merkmale der über 65 Jahre andauernden Leinwandlaufbahn der Nachfahrin sizilianischer Auswanderer. Begonnen hatte alles 1957, als sie einen Beauty Contest als »schönste Italienerin von Tunesien« gewann. Der Preis war eine Reise zu den Filmfestspielen von Venedig. Dort zeigte sie sich in einem von ihrer Mutter genähten Zweiteiler und wurde von Profis, Presse und Publikum für eine echte Schauspielerin gehalten. Aus Claude wurde Claudia, die die Filmleute für »völlig verrückt« hielt, einem »Mädchen ohne jegliche Schauspielausbildung Rollen anzubieten«.
Nach Luchino Viscontis »Rocco und seine Brüder« (1960) gelang ihr mit »Il bell’ Antonio« (Mauro Bolognini, 1960) der Durchbruch. 1963 war dann dank Federico Fellinis »8 1/2«, Viscontis Historienepos »Der Leopard« und Blake Ewards’ Krimikomödie »Der rosarote Panther« das Claudia-Cardinale-Jahr schlechthin. Nach weiteren Hollywoodabstechern wie »Circus World« (Henry Hathaway, 1964) verbuchte sie 1968 in der Rolle der Exprostituierten und verwitweten Landeigentümerin Jill McBain in Sergio Leones Überwestern »Spiel mir das Lied vom Tod« ihren größten internationalen Erfolg. Ihr ist auch die sakrale Schlusseinstellung gewidmet, in der sie sich quasi als Heiligenfigur mit Wassereimer unter die Masse der Eisenbahnarbeiter mischt.
Auch im zunehmenden Alter hatte die zweifache Mutter (ihre erste, nichteheliche Schwangerschaft hätte im Italien der späten 50er Jahre beinahe ihr Karriereende bedeutet) immer wieder starke Auftritte, etwa als armenische Völkermordüberlebende in Henri Verneuils »Mayrig – Heimat in der Fremde« (1991). Zuletzt war sie 2022 in Ridha Behis »The Island of Forgiveness« zu sehen. Ihr eigener Lieblingsfilm unter den über 100 Spielfilmen mit ihrer Beteiligung war aber Valerio Zurlinis »Das Mädchen mit dem leichten Gepäck« (1961), »weil ich in meinen jugendlichen Filmpartner Jacques Perrin wirklich verliebt war.«
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