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Aus: Ausgabe vom 24.09.2025, Seite 5 / Inland
Arbeitsrecht

Eine Bowl mit Lohnklau

Während ihrer Krankheit enthält das Gastro-Startup Grün Deli einer Beschäftigten ihr Gehalt, als die Asylsuchende sich beklagt, folgt die Kündigung
Von David Maiwald
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Das Gastrounternehmen Grün Deli startete als »Farm to Table«-Restaurant in Berlin

Auf dem Tisch liegt eine Mappe mit Papieren, neben einigen Unterlagen sind darin graue und gelbe Umschläge zu erkennen. Gerichtspost. »Alleine hätte ich das niemals geschafft«, sagt Queen* mit fester Stimme und schaut aus dem großen Schaufenster auf den Berliner Alexanderplatz. Es sind die letzten warmen Tage im September, eine Gruppe Touristen läuft draußen einem Stadtführer hinterher. »Ich denke immer wieder, dass sie das nur mit mir machen, weil sie meinen, dass ich alleine bin. Dass ich mich nicht wehren kann.« Doch sie kann. Queen wurde gekündigt, ihr Lohn zurückgehalten, sie klagte: An diesem Mittwoch wird ihr Fall im Kammertermin vor dem Berliner Arbeitsgericht verhandelt.

Einkommen wird angerechnet

Queen ist Asylsuchende, erreichte die BRD im Frühjahr 2023. Nach einigen Zwischenstationen lebt sie im südlichen Berliner Umland. »Der letzte Bus zur Unterkunft fährt abends um 17.30 Uhr, das ist unmöglich zu schaffen«, erklärt sie. Nach einigen Monaten bewarb sie sich beim Gastronomieunternehmen Grün Deli. Sie erhielt eine Arbeitserlaubnis und fing an zu arbeiten, zum Mindestlohn. Erst zwölf Euro, dann 12,40 Euro. Hauptsächlich in der Spülküche, aber auch im Produktionsbereich, wo Zutaten für die Küche vorbereitet wurden. Mit dem Einkommen war Queen verpflichtet, das Zimmer in der Unterkunft für Asylsuchende im Berliner Umland selbst zu bezahlen. Ein Raum sei das, geteilt mit einer anderen Frau. »Wir bezahlen jetzt zusammen mehr als 600 Euro«, erzählt sie.

Nach einer Operation hatte sich Queen im Juli 2024 arbeitsunfähig gemeldet. Über einige Wochen habe sie regelmäßig Krankschreibungen beim Betrieb vorgelegt, erzählt sie, trotzdem sei immer wieder gefragt worden, wann sie wieder arbeiten könne. Dann erhielt sie kein Geld mehr, ihre Lohnabrechnung wies die Arbeitsunfähigkeit als unbezahlten Urlaub aus. »Als ich nachgefragt habe, hieß es, ich sei doch in unbezahlten Urlaub gegangen. Dabei hatte ich nur im Voraus angemeldet, dass ich nach der Operation voraussichtlich nicht arbeiten kann.« Sie beschwert sich und wird entlassen. Das Kündigungsschreiben, das jW einsehen konnte, hat keine Anrede. Es beginnt direkt mit ihrem Vornamen. Der Arbeitsvertrag, »den wir mit dir am 20.11.2023 geschlossen haben«, werde im Rahmen der gesetzlichen Frist aufgekündigt, erklärt Grün-Deli-Geschäftsführer Leandro Vergani darin.

Das »Vertical Farm«-Startup

»Pretty in Pink«, »Bombay Berani« oder »Korean Veggie« – unter der Marke Good Bank verkauft Grün Deli nach eigenen Angaben an mehr als 460 Standorten bundesweit seine Produkte. Angefangen als Restaurant in Berlin sind nun die in beschichteten Pappschalen, mit runden, pastellfarbenen Etiketten vertriebenen Gerichte das Hauptgeschäft. Vor allem in den Supermarktketten Edeka und Rewe, aber auch in Cafés der Charité-Kliniken im Wedding sind sie erhältlich. Das Unternehmen liefert »ready-2-eat« für den urbanen Lifestyle: Schnell soll es sein, flexibel und hochwertig, jung und dynamisch – Grün Deli bewirbt seine Marke offenbar als essbare Entsprechung der modernen Arbeitswelt. Geschäftlichen Abnehmern verspricht das Berliner Unternehmen, sowohl Kunden als auch »Ihren wirtschaftlichen Zielen« gerecht zu werden. Öffentlich zugänglichen Quellen zufolge konnte Grün Deli allerdings seit seiner Gründung im Jahr 2017 keine Gewinne verbuchen.

Auf den Hinweis eines Bekannten hatte sich Queen beworben, bekam die Stelle und diese auch von der Ausländerbehörde genehmigt. Bei Grün Deli hatte sie einen Vertrag als Werkstudentin auf einer Basis von 20 Wochenstunden. In der Praxis seien es aber meistens 40 Stunden gewesen. »Das war unterschiedlich, je nachdem, wieviele Bestellungen reinkamen«, erzählt sie. »Ich habe in der Spülküche gearbeitet, da konnte ich nicht einfach gehen, bevor die anderen Bereiche fertig waren.« Die Grün Deli GmbH ließ die Bitte um eine Stellungnahme unbeantwortet. Doch vorhandene Messenger-Gesprächsverläufe, die junge Welt einsehen konnte, bestätigen ihre Version.

Druck und Dreistigkeit

In den ersten drei Wochen hatte der Betriebsleiter sie demnach mehrmals gefragt, wann sie wieder arbeiten könne. Insgesamt dreimal legte Queen in diesem Zeitraum Krankschreibungen vor. Hier werde schon sichtbar, »dass von einem unbezahlten Urlaub nicht die Rede sein kann«, erklärte Queens Rechtsanwalt Stephan Puhlmann im Gespräch mit jW. »Wenn meine Mandantin also unbezahlten Sonderurlaub beantragt hätte, wie der Arbeitgeber behauptet, warum wird sie dann mehrfach gefragt, wann sie wieder arbeiten kann?« Beim Gütetermin vor dem Berliner Arbeitsgericht habe die vom Unternehmen beauftragte Anwältin erklärt, Queen sei kein Geld ausgezahlt worden, schließlich sei sie nicht im Dienstplan eingetragen worden. »Schon da hat der anwesende Vertretungsrichter der Kammer darauf hingewiesen, dass natürlich trotzdem ein Anspruch auf die Vergütung der vertraglich festgelegten Arbeitsstunden besteht«, so Puhlmann. Den Vorschlag des Richters, mit der Zahlung von 1.500 Euro eine gütliche Einigung zu erzielen, habe Grün Deli abgelehnt. »Sie haben statt dessen vorgeschlagen, die Hälfte, also 750 Euro, zu zahlen.«

»Das macht mich immer noch fassungslos«, erklärt Janina Rost, während sie über Queens Fall spricht. Rost war jahrelang aktiv bei International Women* Space (IWS), einer Gruppe, die aus der Besetzung der Gerhart-Hauptmann-Schule in Berlin-Kreuzberg im Jahr 2012 hervorging. Rost begleitete Queen zum Arbeitsgericht, um den einbehaltenen Lohn einzufordern; gemeinsam bereiteten sie die Klage gegen Grün Deli vor, beantragten Prozesskostenhilfe. »Die Amtssprache im Gericht ist Deutsch, da macht keiner den Übersetzer, damit jemand seine Rechte wahrnehmen kann«, erklärt die Juristin. So würden Unternehmen täglich von der prekären Situation profitieren, die migrantischen Lohnabhängigen, vor allem Frauen, aufgezwungen wird, erklärt Rost.

Bei weitem kein Einzelfall

Dabei ist die Rechtslage meist vollkommen klar. Das Berliner Beratungszentrum für Migration und gute Arbeit (BEMA) unterstützte Queen bei ihrem Gang vor das Arbeitsgericht. Im Jahr 2024 habe die Beratungsstelle mehr als 3.340 Personen geholfen, teilte BEMA mit dem Jahresbericht mit: »Durch die Unterstützung des BEMA konnten 195.791,55 Euro an ausstehenden Löhnen und Gehältern für Ratsuchende ausgezahlt werden.« »Es geht dabei nicht einmal um riesige Geldbeträge, die für Unternehmen schwer aufwendbar wären«, ergänzt Janine Rost. »Für Queen und für alle anderen Betroffenen ist das dann aber ein richtig drastischer Einschnitt.« Denn Lohn einzubehalten bedeutet auch, keine Sozialversicherungsbeiträge zu zahlen.

Das gilt auch, wenn Leute zu mehr Stunden angehalten werden, als in ihrem Vertrag stehen. Denn die Sozialversicherungsbeiträge werden anteilig entrichtet, geringere Beiträge, etwa für die Rentenversicherung, bezahlt. Rost kennt das Konstrukt mit Werkstudentenverträgen aus früheren Fällen, die sie begleitet hat. Viele könnten die Sprache nicht »und unterschreiben, was ihnen vorgesetzt wird – den Unternehmen geht es dabei häufig darum, sich die Sozialabgaben zu sparen«. »Die sitzen einfach am längeren Hebel und sie wissen, dass da jemand ist, der sich ohne Hilfe nicht wehren kann.«

Ein Solidaritätsbündnis will zu Queens Prozess vor dem Berliner Arbeitsgericht gegen den »Lohndiebstahl« durch Grün Deli demonstrieren. »Queen ist eine von vielen, und wir werden sie unterstützen«, heißt es im Aufruf. Ob es nun Beschäftigte der Lieferbranche oder anderer Bereiche der sogenannten Gig Economy betreffe, die Unternehmen seien der Ansicht, »sie können mit Migranten umspringen, wie sie wollen, ohne Konsequenzen für ihr rechtswidriges Handeln«, erklären sie darin. Denn bei vielen Migranten sei das Aufenthaltsrecht an ein Einkommen gekoppelt. Hätten Chefs mit ihnen zu tun, gingen sie dann davon aus, »dass unser Bedarf an Einkommen stärker als unsere Fähigkeit ist, uns zu organisieren«. Doch diese Rechnung werde nicht aufgehen: »Wir kennen unsere Rechte und wir fordern sie ein!«

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