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Aus: Ausgabe vom 23.09.2025, Seite 3 / Schwerpunkt
Ukraine

Kiews Mogelhaushalt

Ukrainischer Finanzminister präsentiert Haushaltsentwurf, der nur zur Hälfte durch Einnahmen gedeckt ist. Das Geld reicht gerade so für den Krieg
Von Reinhard Lauterbach
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So ein Krieg ist teuer, Soldaten nicht billig. Rekruten der ukrainischen Armee an der Front bei Saporischschja, 21. September 2025

Der ukrainische Finanzminister Serhij Martschenko hat vor einigen Tagen den Haushaltsentwurf für 2026 ins Parlament eingebracht. Er sieht offiziell Einnahmen von 2,8 Billionen Hryvna, umgerechnet 57 Milliarden Euro, vor, denen Ausgaben in Höhe von 4,8 Billionen Hryvna (97 Milliarden Euro) gegenüberstehen. Allein für die Finanzierung des Krieges sind 2,8 Billionen Hryvna vorgesehen, rechnerisch die gesamten Staatseinnahmen oder 58 Prozent des geplanten Budgets bzw. 27,7 Prozent des – offiziellen – Sozialprodukts. Martschenko und sein Chef, Präsident Wolodimir Selenskij, räumten offen ein, dass für die fehlende Hälfte des Budgets das Geld »irgendwo gefunden werden« müsse. Wo dieses Geld herkommen kann und soll, ist kein Geheimnis: Der Internationale Währungsfonds hat gerade seine Prognose für den durch die westlichen Geldgeber 2026 aufzubringenden Fehlbetrag um mindestens zehn, wahrscheinlich eher 20 Milliarden US-Dollar über die bereits zugesagten 90 Milliarden hinaus erhöht.

Mit anderen Worten: Wäre die Ukraine ein Unternehmen, wäre sie längst insolvent. Nur weiß ihre Führung, dass sie von außen künstlich am Leben gehalten wird. Selenskij gab an, dass die Ukraine 120 Milliarden US-Dollar (110 Milliarden Euro) brauche, wenn sie »das ganze Jahr 2026 weiterkämpfen« sollte. Angesichts eines Budgets von 90 Milliarden Zuschüssen aus der EU und ihren einzelnen Mitgliedstaaten ist dies also ein Überziehen des »Disporahmens« um schlappe 25 Prozent oder 30 Milliarden Euro. Dass das gutgeht, funktioniert nur unter einer Voraussetzung: der Gewissheit Selenskijs, dass die Ukraine nach dem Willen ihrer europäischen Partner »weiterkämpfen soll«. Die Fortführung des Krieges ist die ökonomische Überlebensbedingung des Selenskij-Regimes; wäre er irgendwann zu Ende, würden mit Sicherheit auch die Zahlungen aus Europa eingeschränkt oder eingestellt.

An dieser Stelle kommt eine Ironie des ukrainischen Haushalts zum Tragen: Auf der Ausgabenseite werden auf breiter Front soziale Garantieleistungen wie Mindestlohn und Mindestrente erhöht, die Gehälter der Lehrer und der Ärzte sollen um jeweils rund 50 Prozent erhöht werden. Versprechen, die in großen Teilen der ukrainischen Medien als vorgezogene Wahlversprechungen eingeschätzt werden, mit dem Ziel, der Regierung gesellschaftlichen Rückhalt zu kaufen. Einen Rückhalt, den sie kurzfristig für ganz andere Zwecke braucht als die Aussicht, gewählt zu werden. Nämlich für das eigene Überleben, den »Durchhaltewillen« der ukrainischen Bevölkerung.

Solange aber der Krieg andauert, können laut ukrainischer Verfassung keine Wahlen zum Parlament oder um das Präsidentenamt stattfinden. Ausgaben für die Veranstaltung von Wahlen sind laut zentraler Wahlkommission im Budgetentwurf für 2026 folglich auch nicht enthalten. Sie könnten, sagte der Chef der Behörde, ja notfalls kurzfristig noch eingebracht werden.

Das schließt nicht aus, dass die ­ukrainische Regierung bestrebt ist, den Steuerknebel an allen möglichen und unmöglichen Stellen anzusetzen. Zuletzt kam zum Beispiel ein Entwurf ins Parlament, der vorsieht, Erlöse aus Dienstleistungen aller Art, aber auch aus dem Verkauf gebrauchter Kleider, Kindersachen oder Haushaltsgegenstände mit Einkommenssteuer zu belegen. Sofern diese über Onlineplattformen angeboten werden, ansonsten wären solche Geschäfte ja schwer nachzuverfolgen. Dabei ist der Verkaufserlös solcher gebrauchter Sachen ökonomisch ja gar kein Gewinn, sondern die Realisierung eines Verlusts gegenüber dem Neupreis, buchhalterisch eine vorgezogene Totalabschreibung. Normalerweise müsste dies also dazu führen, dass die Familie, die alte Klamotten verkauft, Verluste geltend machen könnte.

Unterdessen wurde bekannt, dass die offizielle Einwohnerzahl der Ukraine unter die 30-Millionen-Marke gesunken ist. Wie das ukrainische Programm der BBC vor einigen Tagen berichtete, lag die Zahl der gemeldeten Bewohner 2024 bei 28,7 Millionen. Beim Austritt der Ukraine aus der Sowjetunion 1991 hatte die Zahl noch bei 51 Millionen gelegen. 2024 bescheinigte eine Studie der CIA der Ukraine einen der höchsten »Sterbeüberschüsse« – Todesfälle aus »natürlichen Ursachen« stehen der weltweit niedrigsten Geburtenrate gegenüber.

Mit umgerechnet etwas über drei Millionen Euro will die ukrainische Regierung übrigens Hilfen für Ukrainer finanzieren, die sich entscheiden, aus EU-Europa zurückzukehren. Dabei handelt es sich nach EU-Statistiken um insgesamt rund neun Millionen Menschen. Ob die im Falle eines Kriegsendes zurückkehren würden, ist offen, obwohl die Regierungen der EU jetzt die Voraussetzungen dafür schaffen, ihnen diese Rückkehr »nahezulegen«. Der EU-Rat, die Vertretung der Mitgliedstaaten, hat jetzt eine Vorlage verabschiedet, wonach der »spezielle Schutzstatus« für die Geflüchteten aus der Ukraine spätestens im März 2027 auslaufen soll. Krieg hin oder her. (Siehe Kasten)

Hintergrund:

Nützliche dürfen bleiben

Die Pläne der EU zur Beendigung des »besonderen Schutzstatus« für Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine sind, wie es jetzt aussieht, nicht die Voraussetzung für eine Massenabschiebung der etwa neun Millionen Betroffenen. Der Entwurf sieht vor, dass diejenigen Personen aus der Ukraine, die einer sozialversicherungspflichtigen Arbeit nachgehen oder an einer Hochschule im EU-Gebiet studieren, bleiben können, allerdings auf Grundlage der üblichen Visavergabe. Dagegen sollen für Personen, die einfach »nur« Sozialleistungen beziehen, »Anreize zur Rückkehr« geschaffen werden – einschließlich der großzügig gewährten Erlaubnis, das EU-Gebiet vorübergehend zu verlassen, um sich in der Ukraine wieder zu orientieren. An den Planungen aus dem EU-Rat fällt auch auf, dass sie den Stichtag erst im März 2027 setzen. Wer sich also auf Dauer in der EU niederlassen will, soll noch anderthalb Jahre Zeit bekommen, die faktischen und ökonomischen Voraussetzungen dafür zu schaffen, etwa indem man sich einen Job sucht. Und praktischerweise würde im März 2027 die in den meisten EU-Ländern geltende Fünfjahresfrist ablaufen, nach der man einen legalen Aufenthaltstitel erwerben kann, sofern man die Mittel für den eigenen Unterhalt besitzt.

Einige Mitgliedstaaten gehen auf dem Weg, die Geflohenen in Nützliche und Unnütze zu sortieren, bereits praktisch voran. Was in Deutschland noch im vorpolitischen Raum diskutiert wird, ist in Polen seit einigen Tagen Gesetz: Das Kindergeld in Höhe von 800 Złoty (ca. 190 Euro) pro Kind unter 18 Jahren soll ab dem kommenden Jahr nur noch an ukrainische Familien gezahlt werden, bei denen mindestens ein Elternteil sozialversicherungspflichtig arbeitet. Der Senat, die obere Parlamentskammer, billigte eine entsprechende Vorlage von Staatspräsident Karol Nawrocki ohne Diskussionen und Nachbesserungen. Die Neuregelung betrifft vor allem Frauen, die kleine Kinder erziehen und wegen der Betreuung nicht oder nur verkürzt arbeiten können. Angesichts der demographischen Krise in der Ukraine zeichnet sich damit eine Konkurrenz um ukrainische Arbeitskräfte ab: Wer sich nützlich macht, kann bleiben. Wer nicht, darf gehen – und dann dem ukrainischen Staatshaushalt zur Last fallen.

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