Nächste »Schicksalswahl«
Von Reinhard Lauterbach
In Moldau heizt sich vier Wochen vor den auf den 28. September terminierten Parlamentswahlen das innenpolitische Klima auf. Vor einigen Tagen räumte die Polizei ein Protestcamp in der Innenstadt der Hauptstadt Chișinău, nahm 76 Teilnehmer fest und beschlagnahmte »70 Zelte, 76 Schlafsäcke und eine Luftmatratze«. Die Behörden werfen den Demonstranten vor, sie seien von dem prorussischen Geschäftsmann Ilan Șor gekauft worden, um die »demokratische Regierung zu diskreditieren«. Șor, der sich vor einigen Jahren wegen drohender Strafverfolgung aufgrund seiner mutmaßlichen Beteiligung an der Erleichterung mehrerer moldauischer Banken um umgerechnet 1,4 Milliarden Euro erst nach Israel und dann nach Moskau abgesetzt hatte, soll den Demonstranten 3.000 US-Dollar pro Person geboten haben, wenn sie bis zum Wahltermin an ihren Aktionen festhielten.
Das jedenfalls ist die Erzählung, die die »proeuropäischen« Medien verbreiten. Demnach soll Russland Moldau mit einer »Desinformationskampagne« überzogen haben, die darauf abziele, die EU-treue Staatspräsidentin Maia Sandu zu verunglimpfen. So werde Sandu unterstellt, sie sei lesbisch und habe ihrer angeblichen Geliebten einen Millionenbetrag zugeschanzt. Einzelheiten sind bisher aber nicht bekanntgeworden. Es geht offenkundig eher darum, Sandu für ein konservatives Elektorat unmöglich zu machen.
Aber auch die »demokratische« Seite kämpft mit harten Bandagen und »administrativen Ressourcen«. Ein von Ilan Șor gegründetes Parteienbündnis namens »Sieg« (»Victorie/Pobeda«) wurde im Juli von der moldauischen Wahlkommission von der Teilnahme ausgeschlossen. Die Regionalgouverneurin der traditionell russlandfreundlichen Region Gagausien, Jewgenija Guzul, wurde wegen angeblicher Geldwäsche und illegaler Parteienfinanzierung vor Gericht gestellt und zu sieben Jahren Haft verurteilt; das Berufungsverfahren läuft. Zum Unabhängigkeitstag der Republik an diesem Mittwoch, an dem die Sezession von der Sowjetunion im Jahre 1991 gefeiert wird, werden namhafte EU-Politiker in Chișinău erwartet.
Prognosen über die Wahlchancen der beiden Lager sind wegen voneinander abweichender Berechnungsmethoden derzeit noch unzuverlässig. Eine Mitte August veranstaltete Umfrage sah Sandus Partei »Aktion und Solidarität« (PAS) mit 36 Prozent der Stimmen vorn, allerdings weit von der absoluten Mehrheit entfernt. Auf Platz zwei lag das linksnationalistische Bündnis des ehemaligen Staatspräsidenten Igor Dodon mit etwa 27 Prozent der Stimmen. Die »stärkste Partei« aber war mit fast 40 Prozent die der Unentschlossenen.
Die moldauische Bevölkerung ist politisch traditionell zu etwa gleichen Teilen gespalten zwischen Anhängern eines Westkurses und solchen einer stärkeren Integration mit Russland. Ein Referendum, bei dem Sandu den Kurs auf eine EU-Mitgliedschaft Moldaus in die Verfassung aufnehmen wollte, kam im Oktober 2024 mit minimaler Mehrheit durch. Ausschlaggebend waren dabei die Stimmen der Moldauer, die der Arbeit wegen in die EU migriert sind. In diesem Zusammenhang gab es allerdings auch Vorwürfe der Manipulation an die Adresse von Sandu und der EU. So wurden in den EU-Ländern mehr als 100 Wahllokale für moldauische Staatsbürger eingerichtet, in Russland – wohin ähnlich viele Moldauer ausgewandert sind – dagegen nur drei, und von diesen zwei in Moskau und eines in St. Petersburg. Für die Ostmigranten war es also erheblich aufwendiger, ihr Stimmrecht auszuüben.
Es geht bei den Wahlen in Moldau weniger um Werte als um Geopolitik. Das Land liegt zwischen Rumänien und der Ukraine und grenzt an den ukrainischen Bezirk Odessa. Im abgespaltenen Transnistrien sind seit gut 30 Jahren etwa 1.500 russische Soldaten stationiert, die dort angeblich ein Munitionsdepot bewachen, faktisch aber auch auf einer inzwischen militärisch mehr als prekären Position russische Macht projizieren sollen. Ein direkter Angriff auf Transnistrien würde aber die Gefahr einer unmittelbaren Konfrontation mit Russland heraufbeschwören.
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