Krieg gegen das Hinterland
Von Reinhard Lauterbach
Der Krieg in der Ukraine ist offenbar wieder in eine Stagnationsphase übergegangen. Wenn russische Medien einen Vormarsch um 500 Meter auf einer Breite von 600 Metern als großen Erfolg darstellen – wie zuletzt an einem Abschnitt im Bezirk Charkiw –, bedeutet dies aller Wahrscheinlichkeit nach, dass sich die Frontlinie nur unwesentlich bewegt. Meldungen darüber, dass angeblich russische Stoßtrupps bereits die Hälfte von Pokrowsk und große Teile von Kupjansk kontrollieren, werden nur selten durch topographische Beweise erhärtet, und die ukrainische Seite dementiert diese Berichte ohnehin regelmäßig, um sie mit mehrtägiger Verzögerung dann doch einzuräumen. Umgekehrt scheinen russische Berichte über eine angeblich unmittelbar bevorstehende Landeoperation in der Ende 2022 aufgegebenen Stadt Cherson mehr psychologische Kriegführung als Realität zu sein.
Unbestritten ist, dass beide Seiten ihre Drohnenschläge gegen das gegnerische Hinterland zuletzt intensiviert haben. So gab es in Donezk, wo es lange relativ ruhig war, zuletzt mehrere Raketeneinschläge mit Toten und Verletzten, und in der Nacht zum Dienstag zerstörten ukrainische Drohnen ein Erholungsheim im Urlaubsort Foros auf der Krim – dort, wo Michail Gorbatschow 1991 Urlaub machte und einige Tage lang interniert war – und verletzten mehrere Gäste der Einrichtung. Offenbar war dort eine private Feier im Gang, was sich indirekt auch aus der Aussage ergibt, es seien keine Kinder unter den Verletzten gewesen. Im übrigen beschießt die Ukraine mit wachsender Regelmäßigkeit Anlagen der russischen Transportinfrastruktur sowie der Ölindustrie. Die Reichweite der ukrainischen Schläge erreicht dabei inzwischen bis zu 1.500 Kilometer; so wurden offenbar Raffinerien im Bezirk Saratow an der mittleren Wolga, aber auch bei Perm, in Ufa und Orenburg im südlichen Ural getroffen. Wie groß der angerichtete Schaden jeweils ist, ist aus der Ferne schwer zu ermitteln.
Dabei ist vor allem die Infrastruktur für den andauernden russischen Export von Öl und Treibstoffen Ziel ukrainischer Angriffe. Hier wurden zuletzt einige Zahlen bekannt: So soll die Verladeleistung der beiden russischen Ölterminals an der Ostsee nahe St. Petersburg (Ozjorsk und Ust-Luga) gegenüber dem Vorkriegsstand um etwa ein Viertel gesunken sein. Russische Medien kritisieren, dass die Aufgabe, die Ölanlagen im Hinterland zuverlässig gegen Drohnenangriffe zu schützen, vernachlässigt worden sei, und dass alle verfügbaren Abwehrwaffen an der Front benötigt würden, so dass die Etappe schutzlos bleibe.
Russland griff in der Nacht zum Montag ein weiteres Mal den Flugzeugmotorenbauer Motor-Sitsch in Saporischschja an und behauptet, dort schwere Zerstörungen angerichtet zu haben. Außerdem sind zu den Angriffen auf die Bahninfrastruktur jetzt auch Attacken gegen größere Tankstellen im ukrainischen Hinterland gekommen. Ob dies eher die Logistik der Armee beeinträchtigen oder die Zivilbevölkerung demoralisieren soll, ist unter Analysten umstritten.
Tageszeitung junge Welt am Kiosk
Die besondere Berichterstattung der Tageszeitung junge Welt ist immer wieder interessant und von hohem Nutzwert für ihre Leserinnen und Leser. Eine gesicherte Verbreitung wollen wir so gut es geht gewährleisten: Digital, aber auch gedruckt. Deswegen liegt in vielen tausend Einzelhandelsgeschäften die Zeitung aus. Überzeugen Sie sich einmal von der Qualität der Printausgabe.
links & bündig gegen rechte Bünde
Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.
Ähnliche:
Agencja Wyborcza.pl/Tomasz Stanczak via REUTERS12.09.2025Drohnenvorfall zieht Kreise
Anita Walczewska/East News/imago11.09.2025Dialektik der Drohne
EPA/MYKHAILO MARKIV/picture alliance / dpa11.09.2025Von Netzen und Gräben
Mehr aus: Schwerpunkt
-
Kiews Mogelhaushalt
vom 23.09.2025
Nach jetzigem Stand scheint Russland in der Lage zu sein, sein aktuelles Kriegstempo zumindest bis Ende 2026 beizubehalten. Ob jedoch die Ukraine militärisch und personell so lange durchhält, bleibt fraglich.
Istvan Hidy