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Aus: Ausgabe vom 23.09.2025, Seite 3 / Schwerpunkt
Ukraine-Krieg

Krieg gegen das Hinterland

Sowohl Russland als auch die Ukraine intensivieren ihre Drohnenangriffe auf Ziele im gegnerischen Hinterland. Offenbar erhebliche Schäden an russischen Ölanlagen
Von Reinhard Lauterbach
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Auch Schulen werden wie hier auf der Halbinsel Krim durch Drohnen und andere Waffen beschädigt oder zerstört (Foros, 22.9.2025)

Der Krieg in der Ukraine ist offenbar wieder in eine Stagnationsphase übergegangen. Wenn russische Medien einen Vormarsch um 500 Meter auf einer Breite von 600 Metern als großen Erfolg darstellen – wie zuletzt an einem Abschnitt im Bezirk Charkiw –, bedeutet dies aller Wahrscheinlichkeit nach, dass sich die Frontlinie nur unwesentlich bewegt. Meldungen darüber, dass angeblich russische Stoßtrupps bereits die Hälfte von Pokrowsk und große Teile von Kupjansk kontrollieren, werden nur selten durch topographische Beweise erhärtet, und die ukrainische Seite dementiert diese Berichte ohnehin regelmäßig, um sie mit mehrtägiger Verzögerung dann doch einzuräumen. Umgekehrt scheinen russische Berichte über eine angeblich unmittelbar bevorstehende Landeoperation in der Ende 2022 aufgegebenen Stadt Cherson mehr psychologische Kriegführung als Realität zu sein.

Unbestritten ist, dass beide Seiten ihre Drohnenschläge gegen das gegnerische Hinterland zuletzt intensiviert haben. So gab es in Donezk, wo es lange relativ ruhig war, zuletzt mehrere Raketeneinschläge mit Toten und Verletzten, und in der Nacht zum Dienstag zerstörten ukrainische Drohnen ein Erholungsheim im Urlaubsort Foros auf der Krim – dort, wo Michail Gorbatschow 1991 Urlaub machte und einige Tage lang interniert war – und verletzten mehrere Gäste der Einrichtung. Offenbar war dort eine private Feier im Gang, was sich indirekt auch aus der Aussage ergibt, es seien keine Kinder unter den Verletzten gewesen. Im übrigen beschießt die Ukraine mit wachsender Regelmäßigkeit Anlagen der russischen Transportinfrastruktur sowie der Ölindustrie. Die Reichweite der ukrainischen Schläge erreicht dabei inzwischen bis zu 1.500 Kilometer; so wurden offenbar Raffinerien im Bezirk Saratow an der mittleren Wolga, aber auch bei Perm, in Ufa und Orenburg im südlichen Ural getroffen. Wie groß der angerichtete Schaden jeweils ist, ist aus der Ferne schwer zu ermitteln.

Dabei ist vor allem die Infrastruktur für den andauernden russischen Export von Öl und Treibstoffen Ziel ukrainischer Angriffe. Hier wurden zuletzt einige Zahlen bekannt: So soll die Verladeleistung der beiden russischen Ölterminals an der Ostsee nahe St. Petersburg (Ozjorsk und Ust-Luga) gegenüber dem Vorkriegsstand um etwa ein Viertel gesunken sein. Russische Medien kritisieren, dass die Aufgabe, die Ölanlagen im Hinterland zuverlässig gegen Drohnenangriffe zu schützen, vernachlässigt worden sei, und dass alle verfügbaren Abwehrwaffen an der Front benötigt würden, so dass die Etappe schutzlos bleibe.

Russland griff in der Nacht zum Montag ein weiteres Mal den Flugzeugmotorenbauer Motor-Sitsch in Saporischschja an und behauptet, dort schwere Zerstörungen angerichtet zu haben. Außerdem sind zu den Angriffen auf die Bahninfrastruktur jetzt auch Attacken gegen größere Tankstellen im ukrainischen Hinterland gekommen. Ob dies eher die Logistik der Armee beeinträchtigen oder die Zivilbevölkerung demoralisieren soll, ist unter Analysten umstritten.

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  • Leserbrief von Istvan Hidy (24. September 2025 um 09:48 Uhr)
    Im derzeitigen Kriegsgeschehen lassen sich zwei entscheidende Fragen stellen: Zum einen, wie lange Russland wirtschaftlich in der Lage ist, den Krieg zu finanzieren, ohne dass es im eigenen Land zu größeren Spannungen kommt. Zum anderen, wie lange die EU ihre Unterstützung aufrechterhalten kann und ob die Ukraine weiterhin genügend Soldaten mobilisieren kann.
    Nach jetzigem Stand scheint Russland in der Lage zu sein, sein aktuelles Kriegstempo zumindest bis Ende 2026 beizubehalten. Ob jedoch die Ukraine militärisch und personell so lange durchhält, bleibt fraglich.



    Istvan Hidy

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