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Aus: Ausgabe vom 15.09.2025, Seite 5 / Inland
Keine Profite, keine Jobs

Streit um mobile Zukunft

45 Millionen E-Autos auf BRD-Straßen? EU will Verbrennerverbot »überprüfen« und hält an propagierten »Klimazielen« fest
Von Klaus Fischer
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Immer mehr Blech verstopft die Straßen, ob elektrisch oder mit Kraftstoff angetrieben

Der Streit um die Mobilität auf Deutschlands Straßen flammt wieder auf. Am Freitag hatte die EU-Kommission in Brüssel mitgeteilt, dass sie das Verbot von Verbrennungsmotoren bei Neuwagen ab 2035 früher als bisher geplant überprüfen wolle. Die Überprüfung werde »so bald wie möglich durchgeführt«, wie ein Sprecher laut Nachrichtenagentur AFP betonte. Gleichzeitig hatte die Kommission verkündet, an den beschlossenen Klimazielen festzuhalten.

Es ist eine Art Quadratur des Kreises: EU-Europa will das Weltklima retten (was die zwei führenden Industriestaaten der Welt mit dem höchsten CO2-Ausstoß, China und USA, faktisch bzw. offiziell nicht mehr anstreben) und gleichzeitig die Möglichkeit der individuellen Mobilität der fast 500 Millionen Insassen seines Einflussbereiches aufrechterhalten. Letzteres vor allem mit elektrisch angetriebenen Fahrzeugen. Die Pläne dafür sind längst beschlossen. Hunderte Experten werkeln an deren Durchsetzung, Politiker verkünden die Alternativlosigkeit der Maßnahmen, und Zehntausende Seiten Gutachten und Expertisen untermauern das gigantische Vorhaben.

Dummerweise bewegen sich all diese Expertisen nicht in der materiellen Realität – also einer arbeitsteiligen, komplex verknüpften globalisierten Weltwirtschaft, die nach den Regeln kapitalistischen Profitdenkens funktioniert. Eine der wichtigsten davon ist: Wer mit geringstem Aufwand eine nachgefragte Ware in ausreichender oder hoher Qualität herstellt und somit Profite (und als Nebeneffekt auch Arbeitsplätze) sichert, überlebt den gnadenlosen Konkurrenzkampf. Standorte sind nicht gesetzt, sondern stehen immer unter Vorbehalt der Profitabilität.

Letzteres spüren die Hersteller in der EU – vor allem die hier dominierenden Megakonzerne VW, Stellantis, Mercedes-Benz, BMW und Renault zunehmend in den Kassen. Während die mit vergoldeten Beschäftigungsverträgen ausgestattete EU-Bürokratie diesen letzteren – und wichtigsten – Effekt ignoriert und die politisch Verantwortlichen andere Prioritäten (Ukraine, Ukraine, Ukraine) setzen, gehen die Profite zurück, oder es werden rote Zahlen geschrieben.

Die in der Merkel-Ära geschmiedete »Freundschaft« zwischen Politik, Kapital und Mainstreammedien bröckelt. Zuletzt zweifelten Spitzenmanager von Mercedes und BMW offen am Verbrennerverbot und werden zunehmend auch von Politikern unterstützt. So begrüßte Bundesverkehrsminister Patrick Schnieder (CDU) die verkündete Überprüfung »ausdrücklich«. »Wir brauchen realistische und technologieoffene Lösungen, die den Standort Europa stärken und den Menschen Mobilität sichern«, so der Minister am Freitag.

Zuvor hatte Markus Söder das Thema aufgegriffen: »Weg mit dem einseitigen Verbrennerverbot. Ingenieure sollen entscheiden und nicht Bürokraten«, so der CSU-Chef am vergangenen Montag bei einem »politischen Frühschoppen« in Niederbayern. Seltsam ist an den Kritiken lediglich, dass alle neuen Verbrennerfans gleichzeitig betonen, wie wichtig der Klimaschutz bleibe.

Der jedoch bleibt inhaltlich umstritten und wird von vielen als einer der wichtigsten Bremsklötze für die wirtschaftliche Zukunft angesehen. Und das ohne Hohn. Denn in Deutschland steht praktisch die gesamte Auto­branche (und damit das Rückgrat der Industrie) unter Vorbehalt der Profite. Es sind nicht nur die hohen Energiepreise, die den ehemaligen »Exportweltmeister« in eine anhaltende Rezession geschickt haben. Auch die »CO2-Bepreisung« bei den Flottenvorgaben der Hersteller macht VW und Konkurrenten zu schaffen – und die fälligen Strafzahlungen.

So rechnete der ADAC vor: »Nach aktuellem Stand lägen (die Strafen) bei 95 Euro pro Gramm CO2, das ein Neuwagen laut WLTP-Messverfahren ausstößt. Ein Beispiel: Für jeden in Europa verkauften Polo 1.0 mit 123 g/Kilometer CO2-Ausstoß müsste Volkswagen 11.685 Euro nach Brüssel überweisen. Eine Summe, die die Produktion aller Voraussicht nach völlig unwirtschaftlich machen würde.«

Apropos Quadratur des Kreises: Ende 2024 waren in der BRD gut 49 Millionen Pkw zugelassen, 88 Prozent davon in Privathand. Um das Niveau der individuellen Mobilität zu halten, würde dies bedeuten, dass spätestens 2045 mehr als 45 Millionen Elektroautos Deutschlands holperige Straßen verstopfen. Ende 2024 waren nach ADAC-Angaben etwa 154.000 Ladepunkte in Betrieb, um 1,7 Millionen E-Autos am Laufen zu halten. Fragt sich nur noch, woher der Strom für die 2045 notwendigen vier bis fünf Millionen Ladestationen kommen soll.

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