The Thrill isn’t Gone
Von Andreas Schäfler
Irgendwann war dann auch die allerallerletzte Abschiedstournee zu Ende gespielt, und am 14. Mai 2015 trat B. B. King mit 90 Jahren endgültig von der Bühne ab. Einen Gruß zu seinem 100. Wiegenfest an diesem Dienstag hat sich der unangefochtene König des Blues, der einst tatsächlich als Baumwollpflücker begann, redlich verdient.
»Was passiert überhaupt mit Ihrer Kunst, wenn wirklich Schluss ist?« Das wollte neulich die Süddeutsche Zeitung von dem Ballettchoreographen Marco Goecke wissen. »Keine Ahnung. Beuys ohne Beuys ist doch kaum vermittelbar und Bausch ohne Bausch ein Riesenproblem. Die Energien verflüchtigen sich …«, gab der zu Protokoll. B. B. King kann man diese Frage zwar nicht mehr stellen, aber die Antwort liegt auch so auf der Hand: B. B. King ohne B. B. King funktioniert erstaunlich gut. Was nicht nur an der breiten Verfügbarkeit seines Werks und an seiner nach wie vor energischen Wirkung auf Legionen von Gitarrenschülern liegt, sondern auch an der musikalischen Materie. Der Blues ist eine basale Sache, es gab ihn schon lange vor dem großen Jubilar, und er würde auch ohne ihn weiter existieren. Und doch hat kaum jemand soviel zur Unsterblichkeit des Blues beigetragen wie dieser Riley B. King. The Thrill isn’t Gone!
Leicht und schnell
Von den drei Akkorden des Dreikäsehochs aus dem Mississippidelta zum elektrischen und elektrisierenden City-Blues auf den Bühnen der Welt – wie hat er das geschafft? Zunächst mit Neugier und viel Fleiß, denn Sonny Boy Williamson und Konsorten, denen er in den Plantagenunterkünften lauschte, legten die Latte hoch. Auch Lonnie Johnson, T-Bone Walker und Klein-Rileys Schwippschwager Bukka White waren wichtige Einflüsse. Bald ergatterte der Blues Boy aus der Beale Street erste Bühnen- und Radioengagements in und um Memphis, doch es sollte bis 1949 dauern, bis ihm mit »Three O’Clock Blues« der landesweite Durchbruch gelang. Doch B. B. King setzte nun erst recht alles daran, auf der Gitarre weiter Fortschritte zu machen. Der Stil des Bebop-Geburtshelfers Charlie Christian hatte es ihm angetan und ebenso die Spielweise von Django Reinhardt: »Seine Ideen kamen Erleuchtungen gleich. Er war leicht und frei und schnell wie die schnellste Trompete. Er konnte mit der Geschicklichkeit eines Sprinters und mit der Vorstellungskraft eines Dichters durch die ganzen Akkordwechsel jagen. Ich liebte ihn für die Freude in seiner Musik. Und für die Freiheit, zu tun, was immer er wollte.« Das beschreibt auch ziemlich exakt, wie King selbst sein Spiel im Lauf der Jahrzehnte transformierte. Und die E-Gitarren wurden auch immer besser! Was das Komponieren anging, gab er vor seinen Jazz-Kollegen Dizzy Gillespie, Miles Davis und Charlie Parker jedoch klein bei: »Was die machen, geht schlicht über meinen Horizont.«
Markige Stimme
Nach etlichen Management- und Labelwechseln wurde der Eigenbrötler ab Ende der 1960er Jahre schließlich mit Erfolg auf das Rock- und Hippiepublikum losgelassen, spielte etwa nebst Ike & Tina Turner als – Ironie der Geschichte – Anheizer für die Rolling Stones, nahm aber auch mit dem Jazz-Saxophonisten Pharoah Sanders eine Platte auf. 1970 trat er als erster Bluesmusiker in der »Tonight Show« auf, und von da an wurden praktisch überall auf der Welt die roten Teppiche für ihn ausgerollt. B. B. King war sich denn auch für nichts zu schade, noch nicht mal für eine Tour mit den Allerweltsrockern von U2.
1994 in Hamburgs Musikhalle (heute: Laeiszhalle): Das Publikum erwartungsfroh und langhaariger als sonst an dieser Stätte, die Halle herausgeputzt wie der Festsaal eines Grandhotels. Auf der Bühne ein Orchesterchen aus lauter livrierten Herren, die zunächst anderthalb Stücke lang ohne den Chef klarmachen dürfen, dass hier gut geschultes Personal mit dem polierten Tafelsilber hantiert. Dann tritt B. B. King ins Rampenlicht und hat schon gewonnen – weil er die lebende Blues-Legende zu schillernden hundert Prozent verkörpert, selbst wenn er nur sein todsicheres Standardrepertoire abspult. Mag diese vollamerikanisch inszenierte Show auch wenig mit einer Magie aus dem Moment zu tun haben, musikalisch geht sie als vollauthentisch durch. Da ist Kings markige Shouter-Stimme, und da ist seine Lucille, deren Sound für immer als Urmutter der allermeisten Klampferträume weltweit gelten dürfte. Leicht unheimliche Szenen kurz vor dem Finale: Bei noch laufendem Bandbetrieb signiert der King einen Stapel Autogrammkarten und wirft sie mitsamt Lametta und Katzengoldkettchen ins verblüffte Auditorium. Wer leer ausgeht, darf sich anschließend im Foyer gegen üppige Bezahlung mit Souvenirs eindecken.
Soweit die Erinnerung an diesen doch recht unheiligen Ablasshandel. Waren Schwarz und Weiß nun etwa quitt? An B. B. King wurde stets auch eine schöne Stange Geld verdient. Als im Oktober 1974 in Zaires (heute: Kongos) Hauptstadt Kinshasa Muhammad Ali und George Foreman um nichts Geringeres als die Weltherrschaft in der Schwergewichtsklasse boxten, setzten der südafrikanische Trompeter Hugh Masekela und der US-Produzent Stewart Levine zur Einstimmung ein dreitägiges Musikfestival an und flogen dafür Stars wie James Brown, Bill Withers und eben B. B. King ein. Afrikaseits engagierte man unter anderem Tabu Ley Rochereau, Franco Luambo und Miriam Makeba, alle auf dem Höhepunkt ihrer Karriere. Hier traf B. B. Kings Selbstermächtigung, sich im zwölftaktigen Bluesschema grenzenlos auszudrücken, auf die Ursprünge. »Jahrhundertelang haben die Menschen in Westafrika im Takt gearbeitet, Boote im Takt gerudert, Korn im Takt gemahlen, Häuser im Takt gebaut«, schrieb der Harlem-Renaissance-Autor Langston Hughes einmal. Und die US-amerikanischen Stars waren von den afrikanischen tatsächlich überwältigt. B. B. King soll als Reaktion auf den Auftritt von Franco Luambo gesagt haben: »Was soll ich nach diesem Typen noch auf der Bühne anstellen? Der spielt allein schon für acht Musiker!« Um dann die Herausforderung selbstverständlich doch anzunehmen und den 80.000 im Publikum zu zeigen, wie laut und vehement der Blues in Amerika praktiziert wurde.
Dich und mich
Man erinnert sich an das Graffito »Clapton is God«, das Mitte der 1960er Jahre plötzlich an der Wand einer Londoner U-Bahn-Station prangte und merkwürdige Berühmtheit erlangte. Hat der Urheber je mitbekommen, dass der Spruch bestenfalls zum Vogelschiss in der Geschichte der Rockmusik taugte? Eric Clapton selbst bekannte früh, alles, was er auf der Gitarre konnte, bei B. B. King abgekupfert zu haben. Ihre gegenseitige Wertschätzung untermauerten die beiden Weltmeister dann aber erst 2000 mit dem gemeinsamen Album »Riding with the King«, das sich sensationell verkaufte und obendrein einen Grammy gewann. Von diesen Musik-Oscars hat B. B. King insgesamt beinah so viele eingeheimst, wie er Modelle seiner geliebten Signature-Gibson besaß: achtzehn.
In der musikalischen Farbskala bleibt das Feld Königsblau in alle Ewigkeit für Riley B. King reserviert. Er hat sein Volk, das heißt alle seine Untertanen, innig geliebt. Also dich und mich und unterschiedslos auch die letzten paar US-amerikanischen Präsidenten. Der jetzige ist ihm gnädigerweise erspart geblieben.
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