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Aus: Ausgabe vom 12.09.2025, Seite 10 / Feuilleton
Theater

Im Schraubstock

Nichts zu verlieren: Das Berliner Gefangenentheater »aufBruch« gibt eine leicht angereicherte Fassung von Brechts »Mann ist Mann«
Von Erwin Grave
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»In Witwe Begbicks Trinksalon / Kannst du rauchen, schlafen, trinken zwanzig Jahr. / Du kannst’s in diesem Bierwaggon / Von Singapore bis Cooch Behar.«

Das Berliner Gefangenentheater »aufBruch« hat sich ein weiteres Mal an Brecht versucht. Gab es im letzten Jahr in der JVA Tegel bereits die berühmte »Dreigroschenoper« zu sehen, so nun das 1925 geschriebene Stück »Mann ist Mann«, diesmal auf der Freilichtbühne in der Jungfernheide. Es handelt von der exemplarischen Verwandlung des einfachen Arbeiters Galy Gay in eine »menschliche Kampfmaschine« – einen Soldaten. Regie führt Peter Atanassow, die Rollen werden durch Freigänger und Exhäftlinge übernommen, ergänzt durch die Schauspielerin Juliette Roussennac, die als Barfrau Begbick (eine frühe Version der Mutter Courage) dem Ganzen ein wenig Halt gibt. Die Teilidentität von Darstellern und Rollen tut der Sache gut, man bekommt unmittelbar das Gefühl, dass die Insassen von Gefängnissen auch brauchbare Soldaten sein könnten.

Der Soldat ist für Brecht hier Sinnbild für den modernen Lohnarbeiter. Die Verwandlung des Packers Galy Gay steht auch für die Anpassung der arbeitenden Klasse an die Anforderungen imperialistischer Industrie und soll als »historisches Ereignis« verstanden werden: »Es wird durchgegriffen. Die Technik greift ein. Am Schraubstock und am laufenden Band ist der große und der kleine Mensch, schon der Statur nach betrachtet, gleich.« Brecht ist an der Schwelle zum Marxisten, im Jahr 1926 wird er mit Karl Korsch »Das Kapital« studieren.

Diese Herausbildung des modernen Charakters, der geneigt ist, jede ihm zugewiesene Funktion zu erfüllen und »sich dem Laufe der Welt schon anzupassen«, wird in zugespitzter Form anhand der britischen Kolonialarmee gezeigt, die im fernen Indien ihr Unwesen treibt. Das Exempel gibt ein Individuum, das obzwar es das gestern noch nicht wusste, morgen schon zur Nummer degradiert in den Krieg zieht. Eine zentrale Frage dabei: Warum kann man diesen Mann so leicht ummontieren, wie man »ein Auto ummontiert«? Die Antwort eines der Soldaten: »So einer verwandelt sich eigentlich ganz von selber. Wenn ihr den in einen Tümpel schmeißt, dann wachsen ihm in zwei Tagen Schwimmhäute zwischen den Fingern.« Dieser allgemeine Konformismus hat seine Ursache im Alltagsleben des künftigen »Menschenmaterials«: »Das kommt, weil er nichts zu verlieren hat.«

»Sie werden sicher sich sagen«, wird Brecht im Programmheft zitiert, »dass es eher bedauernswert sei, wenn einem Mensch so mitgespielt und er einfach gezwungen wird, sein kostbares Ich aufzugeben«. Aber weit gefehlt, es handelt sich um eine »lustige Sache«. Am Anfang sehen wir Galy Gay noch als Packer, »der nicht trinkt, ganz wenig raucht und fast keine Leidenschaften hat«. Er zieht aus, einen kleinen Fisch zu kaufen, der seine Verhältnisse nicht übersteigt. Auch hat er eine namenlos bleibende Frau, die er sofort verleugnet, sobald er mit den neuen Freunden in Begbicks mobiler Soldatenbar zechen und rauchen darf, zumal Begbick, eine ehemalige Hure, mehr Befriedigung verheißt als seine Frau. »Galy Gay«, so Brecht, »nimmt eben keinen Schaden, sondern er gewinnt«.

Er gewinnt aber nur, weil er eben nichts zu verlieren hat. Umgekehrt heißt das, dass man aus Soldaten wieder Menschen machen kann, sofern man ihnen ein besseres Leben gibt. Im Stück kommt immerhin einer von ihnen zeitweise davon, indem er eine andere, durchaus alberne Arbeit findet, bei der er immerhin Beefsteak essen darf. Überhaupt hat Brecht den Umstand, dass der Mensch ein von den gesellschaftlichen Umständen bestimmtes Gattungswesen ist, nicht grundsätzlich abgelehnt, auch wenn man vielleicht daran gehen müsse, die Verhältnisse grundsätzlich so einzurichten, dass man mit ihnen ruhigen Gewissens konform gehen könne.

Brecht war ein Freund knapper Darstellung und hat zwei Szenen gestrichen, die das Stück zunächst abschlossen. Alles Nötige war bereits gesagt: Der Packer Galy Gay ist ohne Reibung zum Soldaten geworden, Tibet soll mit Krieg überzogen werden, wegen der benötigten Baumwolle. Ende. Das Gefangenentheater spielt die Szenen trotzdem, die den Verlauf dieses Krieges andeuten. Der anklagende Aspekt des Stücks wird dadurch deutlicher. Galy Gay mag am Ende ein gefeierter Kriegsheld sein, da er maßgeblich dazu beiträgt, eine gegnerische Festung einzunehmen. Dieses durchaus militärische Ziel war aber auch Herberge von »7.000 Flüchtlingen aus der Provinz Sikkim, zum großen Teil fleißige und freundliche Menschen!«.

Zum Abschluss wird die Inszenierung mit dem pazifistischen Lied »Sag’ mir, wo die Blumen sind« angereichert, was eher nicht im Sinne von Brecht wäre. Doch die Tränen in den Augen der Sänger waren echt, und so tat die Laientruppe gut daran, die Brechtsche Lakonie durch ein wenig Rührseligkeit zu brechen: Dieses Land lernt gerade erst den Krieg neu und kennt kaum noch seine Schrecken.

Nächste Vorstellungen: 12. und 13. September 2025

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