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Aus: Ausgabe vom 12.09.2025, Seite 10 / Feuilleton
Aura-Farming

Ich-Simulation

Von Niki Uhlmann
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Cringe: Ein goofy ahh Rizzler farmt obvi Aura im Pool

Auf einen Gewinner kommen sieben Nieten. Willkommen in der Klassengesellschaft! Nur wär’ jeder gern wer. Darum haben sich die nachwachsenden, mittels sozialer Medien bestens vernetzten Nieten einen Kniff ausgedacht, um wenigstens die Ausstrahlung der Gewinner zu kultivieren: das »Aura-Farming« – Kulturtechniken, derer sich jene bedienen können, die weder besonders schön, noch besonders klug sind, für Prunk kein Geld oder schlicht kein Charisma haben.

Dafür wird zunächst eine Identität konstruiert, in die man hineinschlüpfen möchte wie in eine Rolle. Originell sind die selten, eher diktiert von Algorithmen, die tausendfach überzeichnete Versatzstücke vermeintlich erstrebenswerter – weil populärer – Eigenschaften ausspucken. Das könnte getrost als zeitgemäße Form des Idolisierens und Nacheiferns verbucht werden, noch basieren die Vorschläge ja auf realen Vorbildern, wäre da nicht das oberste Gebot des Aura-Farmings: dass selbiges nämlich niemals nimmer nicht auffallen darf. Immerhin riecht weniges mehr nach Unbeliebtheit, als um Beliebtheit bemüht zu wirken.

Da Aura aber ihre Anerkennung durch andere voraussetzt, stellt das Gebot die Farmenden vor eine Herausforderung: Sie müssen die Identität ihrer Wahl stets so zur Schau stellen, dass sie bemerkt wird, dürfen aber nicht den Verdacht erwecken, dass sie etwas zur Schau stellen. So muss noch der minutiösest kuratierte Post beiläufig wirken, braucht das aufwendigste Outfit einen Touch Beliebigkeit, erfordert der klügste Gedanke mindestens ein wenig gespielte Bescheidenheit.

Damit ist jeglicher Authentizität Absage erteilt. Vom Ausgangspunkt, einer schlechten Meinung von der eigenen – meist unfertigen – Persönlichkeit, die in einer zur Bühne umfunktionierten Welt nicht zur Geltung kommen darf, bis zur notdürftig zugelegten, womöglich gar erfolgreich vorgetäuschten Ausstrahlung, müssen sich die Farmenden verstellen. Sie meinen, nie sein zu dürfen, was sie sind oder sein wollen.

Zu allem Überdruss macht das Farming auch noch Arbeit. Der Begriff ist Videospielen entlehnt, wo er das stumpfe Wiederholen simpelster Tätigkeiten zwecks Anhäufung von Erfahrungspunkten beschreibt. Das Ratgeberportal Wikihow empfiehlt beispielsweise, aufgetakelt einen belebten Ort aufzusuchen und nonchalant in die Ferne zu starren. Selbst Tätigkeiten, die entspannen sollen, werden so zur Inszenierung für andere. Für maximalen Effekt kann sich dabei mit Naivlingen umgeben werden, die den Schein grundsätzlich für die Sache nehmen.

Wird etwa beim Clickbaiting mit reißerischen Schlagzeilen der Inhalt in eine Form gegossen, die maximale Aufmerksamkeit erregt, sticht beim Aura-Farming die Form den Inhalt. Orientiert an den Gewinnern, richten die Nieten sich zwecks Anerkennung zu und simulieren möglichst authentisch Erfolg, den sie derart nie erreichen werden. Das ist noch untertäniger als Sklavenmoral.

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