Marschieren lässt, wer daran verdient
Von Ken Merten
Das Unbehagen mit dem Deutschrap gibt es seit Anbeginn der Menschheit: Fern der Musikakademien und weit aus dem Plattenbaubalkon gelehnt, wird gereimt und gesamplet. Dazu eine getretene Metrik, deren Scherben neu zusammengefügt werden. Die größte Provokation aber: Während sich meist weit mehr in hohle Phrasen vernarrte Rockmusikerinnen und Popsänger ins erträglich-weghörbare Englisch retten, versteht man mit Deutschkenntnissen unmittelbar, was der oder die da rappt. Entsprechend hoch wiederum die Messlatte: Die hierzulande beliebteste und damit schlüsselkulturindustrielle Popmusikrichtung soll gleichsam authentisch sein, und der Interpret als mal räudiger, mal straßenphilosophischer Kampfhund daherkommen und andererseits versiert mit Sprache umgehen, in einem Land, in dem schon ein gerader Satz den Verdacht weckt, er enthalte etwas Unsagbares gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung.
Politischer Rap
Haftbefehl ist der Verslehrer des ernsten Witzes, »Neandertalahon« SSIO überdreht die Ironie so weit, dass aus Witz wieder Ernst werden kann – müßig, Positivbeispiele für guten Rap aufzulisten. Derweil im Mutterland des Rap jedoch Conscious Rap eine relevante HipHop-Fraktion stellt, wird Deutschrap auch dafür in die Kritik genommen, dass er das Politische meidet wie Kollegah die Verhaltenstherapie. Platin für Kendrick Lamar in den USA, derweil ist der hiesige Politrap meist die von Bläschen frequentierte Instrumentalisierung von Flugblättern, für jene, die solche auf Kleindemos verteilen.
Ausnahme: Disarstar. Am 31jährigen Hansestädter ist auch im Mainstream kein Vorbeikommen. Mit »Hamburger Aufstand« hat er nun sein achtes Studioalbum in zehn Jahren herausgebracht. Macht das müde? Vielleicht mit Ausnahme der mit dem Konstanzer DJ-Trupp Jugglerz produzierten Vorgänger-LP »Overdose« (2024) hat sich musikalisch wenig verändert: minimalistisch-melancholische Beats, selten mehr als drei Spuren übereinander, konservative Mittel (Piano, Streicher, snarelastige Drums).
Warum auch nicht? Der Umsturz kommt nicht über neue Form, sondern neuen Inhalt: »Für die Schlangen, die dich hier beißen, gibt es kein Gegengift / So sieht die Hölle aus: Großraumbüro unterm Neonlicht / Wenn irgendwann ein Komet diesen Planeten trifft / Überlebt nur ein weißer Mann auf seinem Segelschiff« (»Großraumbüro«). Büro ist Krieg: Kollektives Abnippeln am Arbeitsplatz, während ein reiches Arschloch alleinüberlebend die Spezies nicht repräsentativ verkörpert. Das ist leider näherliegender als der Fortschritt: »Ey, Hass ist die logische Konsequenz für uns / Und hier ist er bei weitem nicht groß genug für Veränderung / Ich weiß, dass du alleine bist / Aber mit Nazis wird’s für alle noch schlechter, nur für die Reichen nicht.«
Klassenhass
Oben wird grad noch so gekonnt, unten zuviel gewollt, was passiert. Entsprechend ist der Abgrund, in den die Gesellschaft gekippt wird, noch unterkellert, und der Boden beginnt zu brechen. Der Wunsch ist groß, dass dem Kampf gegen Weltkrieg und Faschismus mehr Erfolg beschieden ist als dem historischen Hamburger Aufstand. Aber es sieht ungünstig aus: »Wie viele Schweine kommen noch an die Macht, statt in ’n Knast?« stellen Disarstar und Pöbel MC mit »Wie viel« in den Raum, der mit der »Zeitenwende« zur Kaserne umgebaut wird.
»Meine Söhne geb’ ich nicht«: Von 1986 und Reinhard Mey bis Disarstar 2025 hat sich nicht geändert, dass sich Kapitalismus ohne Militarismus nicht hält. Genauso wenig wie ohne ideologischen Klassenkampf, der glaubhaft machen will, dass die Freiheit des Standorts nach Kapitulation des Bolschewismus am Hindukusch und demnächst wohl in der Formosa-Straße verteidigt werden muss. Freie Fahrt für freie Bourgeois: Wer will schon überholt werden? Schließlich hat das deutsche Kapital nicht umsonst seine Extraprofite darein investiert, dass Ausgebeutete hierzulande in den Nachrichten noch viele mehr sehen können, denen es noch elender geht, und entsprechend nicht aufmucken. Das eigene Elend relativiert, doch »Armut ist auch Armut dann, wenn andere noch ärmer sind«.
Jetzt kommen die Verdammten – und ehe die den Sozialstaat unterwandern, liquidiert man ihn doch lieber gleich. Er muss eh sterben, damit die Rüstung leben kann.
Agitprop
Disarstars Musik geht über das hinaus, was vom Lautsprecherwagen schallt, und ist fern von der als Sprechgesang falsch verpackten Soziologiehausarbeit. Pathos und Kitsch schleichen sich nicht erst ins Agitprop ein – sie sitzen da, man muss sie rauskehren, für eine Klassenhasspoetik, die über linke Selbstbestätigung hinausgeht. Und Gerrit auf St. Pauli kann Klasseninteresse vermitteln. »Meine Söhne geb’ ich nicht« ist im heißer werdenden zweiten Kalten Krieg eine Zäsur des Politdeutschraps: »Nichts ist hier sicher, aber ein paar Dinge stehen fest: / Würden nie sterben für ein Land, das uns so leben lässt.« Wer vom Krieg nicht profitiert, hat darin nichts zu suchen. Aber wer daran verdient, der lässt hinmarschieren: »Die Kriegstreiber bei Lanz sieht man höchstens für die Presse an Fronten.«
»Hamburger Aufstand« wird den Krieg nicht verhindern. Aber unter jenen, die sich der Mobilmachung entgegenstellen, werden welche sein, die sagen, sie hätten Disarstar gehört und angefangen, über Kapitalismus und Krieg nachzudenken.
Disarstar: »Hamburger Aufstand« (Four Music)
75 für 75
Mit der Tageszeitung junge Welt täglich bestens mit marxistisch orientierter Lektüre ausgerüstet – für die Liegewiese im Stadtbad oder den Besuch im Eiscafé um die Ecke. Unser sommerliches Angebot für Sie: 75 Ausgaben der Tageszeitung junge Welt für 75 Euro.
links & bündig gegen rechte Bünde
Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.
Ähnliche:
- Christian Mang27.09.2019
»Linke Gegenkultur muss leicht zugänglich sein«
- Caroline Seidel/dpa31.07.2018
»The bass, the treble / Don’t make a rebel«
- 24.04.2015
»Viele Rapper haben politische Texte«
Regio:
Mehr aus: Feuilleton
-
Im Schraubstock
vom 12.09.2025 -
Das Ding mit der Kollektivbestrafung
vom 12.09.2025 -
Ich-Simulation
vom 12.09.2025 -
Wähler kaufen gehen
vom 12.09.2025 -
Nachschlag: Rockstar und zurück
vom 12.09.2025 -
Vorschlag
vom 12.09.2025