Das Lachen im Halse
Von Ronald Kohl
Wer sich beim Scheißen nicht sputet, wird abgeknallt. Auf der Stelle exekutiert! Gleiches gilt für alle, die beim Laufen trödeln. Daher auch der Titel »Todesmarsch«, unter dem die Romanvorlage hierzulande 1987 (Originaltitel: »The Long Walk«) erschien und den der Verleih nun auch für die Verfilmung nutzt. Wörtlich übersetzt heißt Richard Bachmans Roman »Der lange Marsch«.
Ja, ich sage: Richard Bachman, obwohl Stephen King dieses Pseudonym seit Jahrzehnten nicht mehr benutzt. Doch der 1979 erschienene ist nun mal ein typischer Bachman-Roman. Den »bachmanesken Geisteszustand« hat King einmal so beschrieben: »Von einer tiefsitzenden Wut erfüllt, sexuell frustriert, auf verrückte Weise gut gelaunt und von Verzweiflung zerfressen.« Eine Beschreibung, die auch auf alle wichtigen Charaktere sowohl des Romans als auch der Verfilmung voll und ganz zutrifft.
Es sind junge Männer, die in einer von Krieg und wirtschaftlicher Depression geprägten Zeit in den USA aufgewachsen sind. Während der Roman in einer unbestimmten Zukunft spielt, wurden für die Verfilmung, den Autos und der Kleidung nach zu urteilen, die frühen 70er Jahre gewählt; im Handyzeitalter würde der Plot nicht funktionieren, weil die Truppe während des tagelangen, ununterbrochenen Marsches ihre spärlichen Informationen nur aus einem kleinen Transistorradio erhält – bis dessen Besitzer von den motorisierten Bewachern erschossen wird. Dass sie dieses Schicksal mit größter Wahrscheinlichkeit selbst irgendwann ereilen wird, war allen Teilnehmern von vornherein klar.
Da Opferbereitschaft und Zusammenhalt eine so wichtige Rolle spielen, kann schnell der Eindruck entstehen, es würden hier Mechanismen des Krieges thematisiert. Stephen King wurde 1947 geboren und gehört damit jener Generation an, die in Vietnam verheizt wurde. Gegen ernsthafte politische Motive spricht jedoch, dass King in der Welt der Phantasie zu Hause ist. Darüber hinaus ist alles, was sich im Roman als zeitgeschichtliches Bekenntnis deuten ließe, im Film nicht mehr erkennbar.
Die wichtigste Verschiebung ist jedoch, dass an Stelle von Kameradschaft nun ehrliche Freundschaft, so kurzlebig sie auch sein mag, das Handeln der zentralen Charaktere bestimmt. Einen von ihnen lockt ohnehin nicht das dicke Preisgeld, das allein dem Sieger winkt. Ihn treibt das Motiv der Rache am verbrecherischen System an, verkörpert durch den Major, der den Marsch alljährlich organisiert und aus seinem Jeep heraus mit markigen Ansprachen begleitet.
Der Major soll also am Ende umgelegt werden. Das ist neu. Genau wie die Teilnehmerzahl, die im Film einfach auf 50 halbiert wurde. Überhaupt muss der tonangebende Produzent ein unglaublicher Geizknochen gewesen sein. Denn auch die Massen von jubelnden Zuschauern, die im Buch immer wieder in den großen Städten den Weg der Verdammten säumten und so für die sinistre und dennoch vertraut wirkende Atmosphäre sorgten, kommen im Film nicht vor. Irgendwie putzig ist eine im Detail vorgenommene Änderung: Für die Hauptrolle wurde mit Cooper Hoffman ein reichlich pummeliger Schauspieler gecastet. Lag die vorgeschriebene Mindestgeschwindigkeit für die Teilnehmer, wenn sie nicht erschossen werden wollten, im Buch noch bei vier Meilen pro Stunde, wurde sie im Film auf drei reduziert.
In humoristischer Hinsicht hingegen wurde ein bisschen aufgerüstet. Als die Jungs, die wenigen, die gegen Ende noch übrig sind, sich auf der regennassen Straße durch eine völlig heruntergekommene Gegend schleppen, erblicken sie am Straßenrand ein riesiges Billboard, eine Reklametafel. Auf der verwitterten Pappe lässt sich gerade noch so eine Lok mit ein paar Anhängern erkennen. Darunter steht: »Das nächste Mal nehmen Sie besser die Bahn!«
Keiner von den Jungs hat mehr die Kraft, darüber zu lachen. Sie stützen einander und torkeln weiter dem Tod entgegen.
Es ist bekannt, dass Stephen King früher manchmal sehr unzufrieden mit der Umsetzung seiner Stoffe war. Wie wird wohl dieses Mal sein Urteil ausgefallen sein? Ich habe ihn zwar nicht gefragt, aber ich kenne die Antwort trotzdem: Er ist begeistert. Sein Name erscheint nämlich auf dem Abspann. Als Executive Producer. Mit anderen Worten: Bachman ist tot. Erschossen beim Kacken.
»The Long Walk – Todesmarsch«, Regie: Francis Lawrence, USA 2025, 108 Min., Konostart: heute
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