Maximal labbrige Pommes
Von Maximilian Schäffer
Der Internationalen Funkausstellung hat man einen neuen Namen verpasst. Der Rundfunk ist schließlich ein totes Geschäft, klingt nach »Wetten, dass … ?« und Volksempfänger. Der Amateurfunk? Kein Kommentar. James Brown? Okay. Wir befinden uns in Zeiten der radikal individualisierten Bespaßung, stehen kurz vor einer Zeit, wo Unterhaltung sogar jederzeit individualisiert generiert werden kann. Und schließlich kommt man nach Berlin ja auch wegen der geilen, neuen Weißware: KI-Waschmaschinen, KI-Geschirrspüler, KI-Kühlschränke. Die sind zwar funky, aber können Funk nur im langweiligen Sinne der permanenten WLAN-Verbindung. Die IFA, eigentlich schon seit 2004 nurmehr leere Abkürzung, heißt seit diesem Jahr, dem 101. ihres Bestehens, deswegen nun offiziell »Innovation for All«.
Tatsächlich wird gruselige Technologie, deren Fortschrittlichkeit sich allein dem totalen Überwachungsstaat erschließt, immer erschwinglicher. Für circa 200 bis 300 Euro (genauer Marktpreis noch nicht bekannt) kann man beispielsweise einen Kameraadapter erwerben, der kompatibel mit den meisten hochauflösenden Spiegelreflexsystemen ist. Dieser Adapter wiederum erkennt vollautomatisch Gesichter. Das polnische Team am Stand des chinesischen Herstellers gibt Nutzungshinweise: Aus Daumen und Zeigefinger einen Ring geformt und vors Gesicht gehalten, symbolisiert Zustimmung. Die Kamera zeichnet jetzt alle Regungen der anfixierten Person auf, während der motorisierte Kameradapter der Firma automatisch um 360 Grad um die horizontale sowie um 180 Grad um die vertikale Achse mitschwenkt. Man bewegt sich, schnell oder langsam, um die sehende Linse – es gibt kein Entrinnen. Und damit auch kein Fluchtversuch vergessen bleibt, speichert der Adapter synchron auf SD-Karte und/oder direkt in die Cloud. Erst die abwehrende, flache Hand vors Gesicht beendet die Videoaufnahme. Auf die Antwort, ob sie das nicht auch furchterregend findet, erwidert die Marketingchefin aus Gdańsk, dass sie Berlin furchterregend findet. Rückschrittlich seien die Deutschen, und gefährlich sei es in ihren Städten. Nirgendwo hat sie so etwas erlebt, selbst in Warschau sei es sicherer. Mit Bargeld zahlen die Deutschen noch? Und der Reporter benutzt kein Instagram? Trotzdem bekommt der Journalist noch einen gedruckten Gutschein mit QR-Code für einen kostenlosen Kombucha an einem anderen Stand des Herstellers in die Hand gedrückt. Auch (Bier-)Braumaschinen für den Heimgebrauch gibt’s von derselben Marke.
Harmlos dagegen scheinen Heimtrainer im beliebten IKEA-Öko-Look von einem norwegischen Produzenten. Man braucht gar nicht nachzufragen, aller Schrott auf dieser Messe ist mindestens zu 25 Prozent recycelt, vollständig nachhaltig und im Einklang mit einer neutralen Energiebilanz CO2-positiv – summa summarum pures Gold für die Umwelt und ihr Klima. Auch das gehört zum Kauderwelsch des Fortschritts, genauso wie schnöde Kabel, die sich von diesem Heimtrainer entfernen. Für was die taugen? Genau: um mit der gesunden Muskelkraft beim Genuss von Tik-Tok-Nazis in das dabei verwendete Tablet Wehrsportenergie zu speisen. Knuffig, der kleine Heimtrainer daneben, im holzigen Kinderzimmerlook, mit ebenso praktischer Bildschirmablage aus Biomaterial.
Die deutschen Firmen fahren die großen Geschütze auf, laufen schon allein der Anschaffungskosten wegen im Premiumsegment. Miele beispielsweise präsentiert seinen Einstieg ins beliebte Grillgeschäft bzw. stellt man dem geneigten Villenbesitzer die vollständige Outdoorküche vor. Der Edelstahlgasgrill namens »Fire Pro IQ« brutzelt für UVP 5.999 Euro Steaks erst knusprig auf 600 Grad Celsius und lässt sie dann auf 60 Grad locker auf Temperatur ziehen. Zur Kontrolle des optimalen Ergebnisses dient ein Panorama-Full-Control-Display, aber eigentlich regeln die fünf Temperatursensoren eh alles von allein.
Wer sich das nicht leisten kann, muss beim automatisierten Kochen einen Gang zurückschalten. Bosch präsentiert, wie tausend andere Firmen, seine Version eines Miniaturheißluftkonvektionsofens namens Air Fryer, aus dem konsequent labbrige Pommes zu erwarten sind. Daneben steht, wie bei tausend weiteren Firmen, die marginal billigere Alternative zum teuren Thermomix von Vorwerk. Beide Innovationen für alle passen, im Unterschied zur Grillyacht, auch in eine Sozialbauwohnungsküche am Stadtrand. Die Kameras auch.
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