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Aus: Ausgabe vom 09.09.2025, Seite 2 / Ausland
Türkei

Ins Amt geprügelt

Istanbul: Treuhänder für Oppositionspartei CHP trotz Protesten eingesetzt
Von Nick Brauns
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Ein Großaufgebot der Polizei stoppte CHP-Anhänger in der Nacht zu Montag auf dem Weg zur Istanbuler Parteizentrale

Die Steigerung von Feind heißt Parteifreund. Dieses Sprichwort bewahrheitet sich einmal mehr in diesen Tagen in der Türkei. Begleitet von einem Großaufgebot der Polizei kam Gürsel Tekin am Montag um 13.15 Uhr zur Zentrale der Istan­buler CHP. Ein Gericht hatte den früheren Abgeordneten vergangene Woche treuhänderisch als Vorsitzenden des Provinzverbandes der kemalistischen Oppositionspartei eingesetzt. Per einstweiliger Verfügung war deren Provinzparteitag 2023 nach Klagen unzufriedener Mitglieder wegen angeblicher Unregelmäßigkeiten für ungültig und der dort gewählte Vorstand für abgesetzt erklärt worden.

Mitglieder der CHP hatten trotz eines vom Gouverneur verkündeten Versammlungsverbots eine Polizeisperre überrannt und seit Sonntag abend Wache vor dem von Tausenden Polizisten belagerten Parteigebäude im Bezirk Sarıyer gehalten. Auch sozialistische Parteien und die prokurdische Dem-Partei hatten Delegationen geschickt, um ihre Solidarität gegen den »Justizputsch« zu zeigen. Die Menge empfing Tekin mit wütenden Rufen wie »Gürsel, hau ab!« und »Wieviel Geld hast du bekommen?«, während die Polizei dem Politiker mit Knüppeln und Tränengas den Weg in das Gebäude bahnte und eine Reihe von Demonstranten festnahm. Tekin, der im vergangenen Jahr selbst seinen Austritt aus der CHP angekündigt hatte, beschuldigte die Demonstranten ihrerseits, gar keine Parteimitglieder zu sein.

Der frühere Abgeordnete gehört zu den Vertrauten des 2023 gestürzten langjährigen CHP-Vorsitzenden Kemal Kılıçdaroğlu. Unter dessen stärker sozialdemokratisch orientiertem Nachfolger Özgür Özel fuhr die bislang chronisch erfolglose CHP bei den Kommunalwahlen 2024 einen historischen Sieg ein und wurde landesweit stärkste Kraft. Mit der Verhaftung und Absetzung des Istanbuler Oberbürgermeisters Ekrem İmamoğlu sowie mittlerweile 16 weiteren CHP-Bürgermeistern unter dem Vorwurf der Korruption versucht die keineswegs weniger korrupte Regierungspartei AKP von Präsident Recep Tayyip Erdoğan, die Opposition wieder kleinzukriegen. Dabei kann sich die AKP nicht nur auf eine gleichgeschaltete Justiz, sondern auch auf Kollaborateure innerhalb der CHP stützen.

So gilt die Absetzung des Istanbuler Provinzvorstandes als Generalprobe für eine kommenden Montag anstehende Gerichtsentscheidung über die Zulässigkeit des CHP-Parteitages vom November 2023. Sollte dieser nach Klagen von CHP-Mitgliedern wegen Stimmenkaufs vom Gericht ebenfalls für ungültig erklärt werden, hat Kılıçdaroğlu bereits seine Bereitschaft zur Rückkehr an die Parteispitze verkündet.

Noch gibt sich die gewählte CHP-Führung kämpferisch. »Die Opposition wird sich diesem Druck niemals beugen«, erklärte der stellvertretende CHP-Vorsitzende İlhan Uzgel am Montag gegenüber junge Welt. Da die AKP weder in der Wirtschaftspolitik noch in anderen Fragen eine Antwort habe, greife sie zu ungesetzlichen Mitteln, um die Opposition mit Blick auf Neuwahlen zu schwächen.

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