Milei hat sich verkalkuliert
Von Frederic Schnatterer
Dass es so deutlich würde, hatten wohl nur die wenigsten gedacht. Ganze 13 Prozentpunkte trennen den Sieger der Wahl in der Provinz Buenos Aires, die Mitte-links-Formation Fuerza Patria, von der Partei des argentinischen Präsidenten, La Libertad Avanza (LLA). Mehr als 47 Prozent der Wähler entschieden sich am Sonntag für die Kandidaten der Peronisten. An zweiter Stelle folgte weit abgeschlagen Javier Mileis LLA mit 33,7 Prozent der Stimmen.
»Wir haben heute eine klare Niederlage erlitten, und das müssen wir akzeptieren«, sagte Milei ungewohnt zerknirscht nach Bekanntgabe der Ergebnisse in La Plata. Bei der Wahlparty in der Provinzhauptstadt versuchte er zu erklären: »Sie haben den gesamten peronistischen Apparat eingesetzt, über den sie seit 40 Jahren verfügen.« Änderungen beim Kurs seiner ultraliberalen Regierung seien in Folge der Niederlage nicht zu erwarten, betonte Milei jedoch. Das betreffe insbesondere die restriktive Haushalts- und Finanzpolitik. »Wir werden in der Regierungspolitik keinen Millimeter zurückweichen. Wir werden unseren Kurs vielmehr noch beschleunigen.«
Der Gouverneur der Provinz, Axel Kicillof, feierte dagegen den »überwältigenden Sieg«. Von der Bühne aus dankte er allen, »die es möglich gemacht haben, dass wir vereint in einem Bündnis, der Fuerza Patria, diesen Erdrutschsieg in der gesamten Provinz feiern können«. Den Präsidenten warnte er: »Die Botschaft, die von den Wahlurnen ausgeht, ist, dass man nicht für einige wenige regieren kann, die am meisten haben. Milei, du musst für das Volk regieren!« Die Fuerza Patria, die alle relevanten linksperonistischen Kräfte umfasst, hatte sich nur mühsam auf gemeinsame Kandidaten geeinigt.
Kicillof betont immer wieder, seine Regierung fungiere als »Schutzschild« gegen Mileis Politik. Ihre Funktion sei es einerseits, den Schaden abzumildern, den der Marktradikale im Präsidentenpalast anrichte. Andererseits solle die Provinz als Beispiel für ein »anderes Argentinien« dienen. Am Sonntag abend erklärte Kicillof, die Wahlen hätten »gezeigt, dass es einen anderen Weg gibt, und heute beginnen wir, ihn zu beschreiten«. Seine Anhänger forderten im Sprechchor die Kandidatur des Gouverneurs bei den in zwei Jahren anstehenden Präsidentschaftswahlen.
Für die Milei-Regierung kommt das Wahlergebnis einer Katastrophe gleich. Das liegt nicht nur daran, dass die Provinz Buenos Aires die bevölkerungsstärkste des Landes ist; hier lebt ein Drittel aller Wahlberechtigten. Vielmehr hat Milei selbst dazu beigetragen, indem er die Abstimmung zur entscheidenden Schlacht gegen die peronistische Opposition ausgerufen hatte. Unter dem Slogan »Kirchnerismo nunca más« (Nie wieder Kirchnerismus) wollte er eigentlich eine der letzten Hochburgen der progressiven Expräsidentin Cristina Fernández de Kirchner (2007–2015) einnehmen. Die Abstimmung, so tönte er, werde der »letzte Nagel« im Sarg des Peronismus sein.
Als ein Sieg der Milei-Partei LLA in den vergangenen Wochen immer unwahrscheinlicher wurde, übte sich der Staatschef in prophylaktischer Schadensbegrenzung. Hatte er noch wenige Tage vor dem Urnengang von einem »Kopf-an-Kopf-Rennen« gesprochen, hoffte er zuletzt nur noch auf eine »würdevolle Niederlage« mit einer Differenz von weniger als fünf Prozentpunkten. Dass es letztlich 13 Punkte sind, schwächt die Regierung nun in einem besonders kritischen Moment: Am 26. Oktober finden die landesweiten Parlamentswahlen statt, gewählt wird die Hälfte der Sitze im Abgeordnetenhaus und ein Drittel derjenigen im Senat. Milei und seine LLA benötigen einen deutlichen Stimmzuwachs. Derzeit verfügt die Präsidentenpartei nur über wenige Sitze in den beiden Kammern.
Allerdings deutet nur wenig darauf hin, dass Milei das Ruder herumreißen kann. Das liegt einerseits am Korruptionsskandal, in dessen Zentrum seine Schwester Karina Milei steht. Sie verfügt als LLA-Vorsitzende und Generalsekretärin der Präsidentschaft über viel Macht. Vorgeworfen wird ihr, Schmiergelder für Aufträge der staatlichen Behindertenbehörde entgegengenommen zu haben, was an Mileis Image als Saubermann mindestens kratzt.
Auch die Wirtschaftsprobleme der Regierung waren vermehrt sichtbar geworden. Um den Wert der Landeswährung einigermaßen stabil zu halten, setzte der Staat Dollar-Reserven ein; die Angst vor einem Anstieg der Inflation ist groß. Am Montag verzeichneten die an der Wall Street notierten argentinischen Aktien herbe Verluste. Während die Regierung betonte, alles beim alten zu belassen, nehmen die Forderungen aus den eigenen Reihen zu, das Kabinett umzubauen oder ein Sozialprogramm aufzusetzen, um die Chancen bei der Parlamentswahl zu erhöhen.
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