Pferdefischer und Eisenfresser
Von Matthias ReicheltEin Mann in gelber Ölkleidung auf einem Pferd im knietiefen Wasser der Nordsee zieht Netze mit seinem Fischfang an Land. Die Möwen wittern leichte Beute und begleiten den reitenden Fischer. Ein bizarres Bild für jedes Publikum, das in Unkenntnis von der Vielfältigkeit der Fischerei nur die Bilder des industriellen Fischfangs im Kopf hat. Die beschriebene Fotografie des »Pferdefischers« in Belgien ist Teil einer Ausstellung des 1950 in Hamburg als Sohn eines Schauermanns und einer Frisörin geborenen Rolf Nobel. In Hamburg studierte Nobel visuelle Kommunikation mit dem Schwerpunkt Fotografie, wurde Mitglied der Fotoagentur Visum und hat den Berufsverband für Fotografinnen und Fotografen Freelens mitbegründet. Lange Zeit hatte er eine Professur für Fotografie in Hamburg und später in Hannover inne, wo er heute lebt und im Vorstand der ebenfalls von ihm mitbegründeten Galerie für Fotografie (GAF) in der Eisfabrik in Hannover engagiert ist. Dort wird nun, benannt mit generischem Maskulinum, »Arbeiter des Meeres. 13 Reportagen« gezeigt, Nobels persönlichste Ausstellung mit einer in Wort und Bild erkennbaren Empathie für die Menschen, die mit ihrer harten Arbeit oft nur ein klägliches Auskommen finanzieren können.
Von den abenteuerlichen, mit allerlei exotischen Details gespickten Hafenerzählungen seines Vaters geprägt, hat sich Nobel jahrzehntelang mit verschiedenen mit dem Meer verbundenen Berufsgruppen befasst. Dafür legte er viele Tausende von Kilometern zurück, um die »Arbeiter des Meeres« aufzusuchen und die diversen Tätigkeiten und damit verbundenen Lebensweisen zu dokumentieren. Daraus sind als eine Art von Resümee eine Ausstellung und ein wunderbar gestaltetes Buch entstanden. Die Bilder zeigen unter anderem die körperliche Mühsal des Arbeitsalltags. Zum Beispiel den der »Seacoaler«, die in den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts vom Abfall der Kohleindustrie in Großbritannien lebten. Die »Seacoaler« oder wie Nobel in seinem höchst lesenswerten Essay schreibt, die »Kohlekumpel der See«, sind bitterarme Menschen, die von der umweltschädlichen Praxis der Kohlebergwerke profitierten, den nur noch wenig Kohle enthaltenden Abraum kostengünstigst ins Meer zu verklappen. Im permanenten Wechsel der Gezeiten löste sich allmählich die leichtere Kohle, die ans Ufer gespült und von den Seacoalern aufgeklaubt wurde. »Farmer, Fischer und Arbeitslose wie Joseph Smith (58) kommen mit Pferdewagen, Fahrrädern oder Traktoren und schaufeln die Kohle auf ihre Karren … Die meisten von ihnen sind ›on the dole‹, das heißt, sie leben von der Arbeitslosenunterstützung«, wie Nobel ausführt.
Ausstellung und Buch sind in dreizehn Kapitel unterteilt und zeigen neben den erwähnten Pferdefischern und den »Seacoalern« auch die »Eisenfresser« in Indien, die in Alang, am Golf von Khambhat unter lebensgefährlichen Bedingungen »zwei Drittel der weltweit abgewrackten Schiffe« zerlegen. »Arbeitsunfälle, auch tödliche, sind in Alang keine große Sache«, wie Nobel schreibt. Neben seinem langen, mit autobiographischen Details gespicktem einleitenden Essay sind den jeweiligen Kapiteln kürzere, kenntnisreiche Texte vorangestellt. In der Ausstellung sind zudem Beispiele aus Printmedien zu sehen, die Bilder und Reportagen von Rolf Nobel publizierten. Darunter finden sich unter anderen auch Stern, Geo, das Zeit-Magazin und Ver.di Publik. War Nobel mit der Ausbeute, sprich der Qualität seiner Bilder nicht zufrieden, begab er sich zwecks neuer Aufnahmen abermals vor Ort.
Die klassenspezifische biographische Prägung Nobels sorgte für sein Interesse an den existentiellen Bedingungen von Arbeitern, das ihn sein Leben lang begleitete. Seine Empathie und Neugier erleichtern ihm auch den persönlichen Zugang, für den die Akzeptanz der Menschen in den jeweiligen Berufsgruppen eine Voraussetzung ist. So war es ihm möglich, Fischer auf ihren Booten im Senegal beim Fang zu begleiten und die verschiedenen arbeitsteiligen Handgriffe und Stationen bis hin zum Verkauf des Fangs auf dem Markt zu dokumentieren. Die Porträtierten werden oft namentlich vorgestellt. Der 53jährige Meissa N’Daw, mit einem durchschnittlichen Tageslohn von nur zwei Euro, berichtete ihm von der immer spärlicher werdenden Ausbeute für die Küstenfischer im Senegal. Eine unmittelbare Folge des industriellen Fischfangs der meist europäischen Hightech-Trawler, die mit GPS die Fischschwärme aufspüren und mit »Schleppnetzen, in die mehrere Jumbojetrümpfe passen würden«, das Meer leerfangen.
»Arbeiter des Meeres. 13 Reportagen von Rolf Nobel«
Bis 12.10.2025, Do.–So. 12 bis 18 Uhr, Galerie für Fotografie in der Eisfabrik Hannover
75 für 75
Mit der Tageszeitung junge Welt täglich bestens mit marxistisch orientierter Lektüre ausgerüstet – für die Liegewiese im Stadtbad oder den Besuch im Eiscafé um die Ecke. Unser sommerliches Angebot für Sie: 75 Ausgaben der Tageszeitung junge Welt für 75 Euro.
links & bündig gegen rechte Bünde
Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.
Ähnliche:
- tim_albrecht@gmx.net14.10.2023
Den toten Körper küssen
- 01.09.2012
Der unsichtbare Fotograf
- © Nachlass Emmanuel Boudot - Lamote / Sammlung Dr. Emanuel Wiemer24.09.2011
Augen auf!
Mehr aus: Feuilleton
-
Gemischtes Doppel
vom 05.09.2025 -
Die Sache mit dem Bild
vom 05.09.2025 -
Nachschlag: Zum Zusammenfegen
vom 05.09.2025 -
Vorschlag
vom 05.09.2025